Vorsicht! Vorsicht!

Predigt zum Christkönigssonntag (Lk 23,35b-43)

Wenn wir die berühmte Szene von den beiden Schächern am Kreuz hören, die am Christkönigssonntag in den Gottesdiensten verlesen wird, dann stehen uns vermutlich Bilder vor Augen, wie sie durch die vielen Darstellungen aus unseren Kirchen bekannt sind: Jesus am hohen Kreuz in der Mitte und links und rechts von ihm die beiden Schächer an kleineren Kreuzen. Jesus angenagelt und die beiden Schächer winden sich in den Seilen. Die Körpersprache von Jesus und den beiden Verbrechern verraten es: Der linke Schächer ist verdammt, dem Rechten wird das Paradies verheißen. Jesus neigt sich dem rechten Schächer zu und dieser schaut ihn mit großen Augen und großer Hoffnung an, während der linke sich lästernd von Jesus abwendet und ihm den Buckel hindreht. Ihn erreicht die Güte Jesu nicht mehr. Er wird verdammt.
Auf diesem Hintergrund spüren wir schnell. Die Darstellung des modernen Künstlers Hubert Huneke ist anders:

Hubert Huneke, „von der Liebe“, Liturgisches Institut


Gelb strahlend leuchtet der Gekreuzigte in der Mitte auf und streckt seine Arme auf beide Schächer zu. Das Rot am Ende der Arme unterstreicht noch, mit welcher Herzensgüte die Zuwendung geschieht. Der rechte Schächer erwidert die Zuwendung Jesu, streckt sich Jesus entgegen und neigt sich Jesus zu. Ein Mensch hat Vergebung erfahren und stirbt in einer großen Hoffnung. Anders der linke Schächer. Seine Hand streckt sich nicht dem Liebesangebot Jesu entgegen. Sein Körper leuchtet nicht im hellen Gelb, sondern ist in einem Ockerton gehalten. Die Arme bilden keine Brücke zu Jesus wie beim rechten Schächer. Aber ist nicht auch in ihm noch ein fahles Leuchten zu erkennen? Vielleicht die Andeutung: Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen! Vielleicht die Frage: Findet auch der linke Schächer vielleicht noch einen barmherzigen Gott?
Dieses Bild ist nicht nur von seiner Abstraktion her ungewöhnlich, es ist auch ungewöhnlich in seiner Aussage. Es stellt eine große theologische Frage und gibt eine ungewöhnliche Antwort. Gewöhnlich ist uns von Jugend an dieses Raster eingepflanzt: Der Schächer, der sich im letzten Moment zu Jesus hinkehrt, er erfährt Vergebung und Rettung. Der andere Schächer dagegen ist verloren. Ein abschreckendes Beispiel. Hubert Huneke ist vorsichtiger: Auch der Schächer, der sich von Jesus abwendet, steht noch in seinem Licht. Auch ihm streckt Jesus noch die Hand entgegen. Auch er ist nicht abgeschrieben.
Ich habe oft den Eindruck, in kirchlichen Kreisen ist man mit der Verurteilung von Menschen, die nicht so denken wie wir, schnell bei der Hand. Wer das Angebot abschlägt, ist draußen. Der taugt nichts. Dem kannst du nicht trauen. Dem haftet irgendwie ein Makel an. Der gehört zu den „bösen“.
Vorsicht, Vorsicht, mahnt Huneke. Du weißt nicht, wie Gott denkt. Sei du mit deinem Urteil nicht schneller als er. Und wer das Lukasevangelium in diesem Jahr verfolgt hat, wird wissen: Dieser Jesus war ständig auf Achse, um zu retten, was verloren war, und zu suchen, was sich verrannt hat. Wie oft schlug sein Herz gerade für die, die nicht in das Konzept und die Wertevorstellung der Frommen passten.
Vorsicht, Vorsicht, mahnt Huneke: Gott behält sich das letzte Wort vor. Vielleicht klingen seine Worte zur Überraschung mancher Frommen anders. Vielleicht so ähnlich, wie es der Dichter Werner von Bergengruen in seinem Gedicht „Stimme Gottes“ formuliert hat:

Scheu dich nicht, mich anzugeh’n,
meine Wohnung ist nicht klein.
Willst du aber draußen steh’n,
auch dies draußen, es ist mein.
Wohl empfang ich die gereinigt’,
nie begangne Schuld gebüßt,
doch es sind die mich gesteinigt,
gleichermaßen mir gegrüßt.
Wenn die letzten Tugend tönten ?
von geglühten Wolkenspitzen,
werden auch die Unversöhnten
mit an meinem Tische sitzen.


Pfarrer Stefan Mai

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