Ein Bild der Hoffnung mitten im Untergang

Predigt zum 33. Sonntag im Jahreskreis (Lk 21,5-19)

Im Jahr 1945 wurden die ersten Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen. Am Südrand des Rathauses von Hiroshima standen ein paar schwarz verkohlte Kirschbäume. Es waren hässliche Exemplare, die in ihrem verkohlten und verdorrtem Geäst die Erinnerung an die grausame Zerstörung wachhielten. Eines Morgens, im April 1946, sah der Bürgermeister von Hiroshima, was er nie für möglich gehalten hätte. Er sah, wie aus dem Schwarz der Zweige das helle Weiß von Kirschblüten aufbrach. Hunderte von Menschen pilgerten an den folgenden Tagen zu den scheinbar toten Kirschbäumen, um sich die aufbrechenden Blüten an den scheinbar toten Ästen anzuschauen. Erst jetzt begannen sie wirklich zu glauben, dass ihre Stadt nicht dazu verurteilt war, für ungefähr hundert Jahre eine Atomwüste zu bleiben. Ein blühender Baum weckt an einem Ort der Zerstörung neue Hoffnung. Diese Erfahrung lässt eine ganze Stadt wieder an die Zukunft glauben.

Im heutigen Evangelium wird uns ebenfalls ein Untergangsszenario vor Augen gestellt: Kein Stein wird auf dem andern bleiben, alles wird niedergerissen werden. Kriege und Unruhe werden Menschen erschrecken. Von Seuchen, Erdbeben, Hungersnöten ist zu hören. Des Glaubens wegen werden Christen vor Gerichte gestellt werden und sogar Familienangehörige werden dabei als üble Handlanger mitspielen. Und mitten in diesem Untergangszenario stehen die Worte Jesu: „Nehmt euch fest vor, nicht im Voraus für eure Verteidigung zu sorgen. Denn ich werde euch die Worte und Weisheit eingeben, sodass all eure Gegner nicht dagegen ankommen und nichts dagegen sagen können.“ Mitten in diesem Untergangsszenario die Worte: „Und doch wird euch kein Haar gekrümmt werden!“

Liebe Leser, wie oft stehen Menschen auch heute auf den Trümmern von zerbrochenen Träumen, auf Lebensruinen, wenn das Leben hart zuschlägt, wenn scheinbare Sicherheiten zerplatzen, wenn plötzlich Menschen, deren Zuneigung man sich sicher war, sich als Konkurrenten oder gar Feinde zeigen. Können Sie das glauben, dass mitten in diesen Krisenzeiten mir Worte Jesu helfen können, nicht durchzudrehen, den Glauben nicht zu verlieren, dass es einen neuen Anfang gibt, dass Freude und Sinn wieder ins Leben zurückkommen kann? An dieses Wunder möchte das heutige Evangelium glauben lassen, an die Blüten an den verkohlten Ästen.


Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de