Was ein Bayerischer Rundfunk uns als Kirche fragen und sagen kann?!

Predigt zum allgemeinen Kirchweihsonntag (thematisch)

Die Plakatserie „Immer in Ihrer Nähe“

Sind Ihnen in unserer Stadt in den letzten Wochen an den Plakatwänden die Werbspots von Bayern 1 auch aufgefallen?
Da steht der Reporter Tilmann Schöberl in voller Montur bei einem Mann in der Duschkabine oder sitzt im Frisörsalon neben einer Frau, der gerade die Haare gewaschen wurden – und groß ist darunter zu lesen: „Immer in Ihrer Nähe“. Da guckt einer Hausfrau beim Aufmachen des Kühlschranks Uwe Erdelt entgegen und beim Plakat Nr. 4 plaudert er vergnügt im Auto auf dem Beifahrersitz. Und wieder unter jedem Plakat der Slogan „Immer in Ihrer Nähe“. Und die vom äußerst erfolgreichen Privatsendersender Antenne Bayern zu Bayern 1 gewechselte Starreporterin Katrin Müller-Hohenstein bringt bei einer Hausrenovierung sozusagen neue Farbe ins Haus – und wiederum lese ich: „Immer in Ihrer Nähe“.

Unterhaltsam, phantasievoll, ein wenig frech und gagig soll durch diese Plakatserie die Unternehmensphilosophie des großen Volkssenders daherkommen. Das Profil und die Vision von Bayern 1 – „Claim“ nennt man so etwas in der Fachsprache – soll durch diesen Spot „Immer in Ihrer Nähe“ auf den Punkt und die Herzen der Menschen gebracht werden. Wir sind nah am Menschen dran, am Alltag der Menschen, an ihren Sorgen, an allem was das Leben unserer Hörer ausmacht und schön macht und wir bringen auch ein wenig Farbe in den oft grauen Alltag. Das ist die Botschaft der Bayern 1 Plakatserie.

Sicherlich, im Hintergrund dieser Werbeserie steht die Hörerbefragung, die zurzeit wieder einmal läuft, in der die verschiedenen Rundfunksender gut abschneiden wollen. Dabei ergreifen sie gleich die Chance beim Schopf, um die Einschaltquoten zu steigern und neue Hörerkreise zu gewinnen. Bayern 1 möchte raus aus dem Bergsteiger- und Blasmusikimage und nicht nur Menschen ab 50 ansprechen.

Die fünf Claims der bayerischen Rundfunksender

Interessant, wie die „Claims“ der anderen Bayerischen Sender heißen. Bayern 2 möchte mit seiner anspruchsvolleren Kost, mit seinen Zeitanalysen, Kommentaren und Hintergründen bei bestimmten Schichten ebenfalls punkten und möchte mit seinem Claim „Hörbar mehr vom Leben“ die Hörerinnen und Hörer intuitiv spüren lassen: Wir bieten euch nicht nur Hirnnahrung und Bildung. Nein, du erfährst einfach bei uns mehr vom Leben und das hilft dir auch im Leben.
Ganz anders die Zielsetzung von Bayern 3. Bayern 3 „Ist dreimal gut“ heißt es da. Wir tun dir gut, wenn du unsere Schlager, unsere Gespräche mit den Hörern mithörst oder unsere Musik einfach als Klangteppich im Hintergrund zur häuslichen Wohlfühlatmosphäre werden lässt.
„Die ganze Welt der Musik“ möchte Bayern 4 ins Haus liefern und der Rundum-Nachrichtensender Bayern 5 möchte dir jede Viertel Stunde bewusst machen: „In 15 Minuten kann sich die Welt verändern.“

Die fünf Claims als Gewissensspiegel für die Kirche

Stellen Sie sich einfach einmal vor. Mit diesen Claims der verschiedenen Bayerischen Rundfunksender würden wir eine ganz andere Institution schreiben. Wie würde das für Sie klingen?

Kirche – Immer in Ihrer Nähe
Kirche – Hörbar mehr vom Leben
Kirche – Ist dreimal gut
Kirche – Die ganze Welt der Musik
Kirche – In 15 Minuten kann sich die Welt verändern

Erleben Sie das so? Als Kirche sind wir nah am Leben der Menschen dran. Bei uns als Kirche kannst du mehr als woanders vom Leben hören. Bei uns ist es dreimal gut: Atmosphäre, Beziehung, Inhalt. Unsere Kirche ist eine Welt voll guter Lebensmusik. 15 Minuten in einem Gottesdienst können entscheidend sein, nicht nur dein Leben, sondern die Welt zu verändern?
Oder müssen wir es uns eher gefallen lassen, wenn uns gesagt wird: Von wegen nah am Menschen! Kirche entfernt sich von den wirklichen Sorgen und Fragen der Menschen immer mehr. Vom wirklichen, prallen Leben ist in ihr nicht viel zu erfahren. Beschwingt geht es schon gar nicht zu. Und langweilige Gesichter und abgehobene Sonntagspredigten in den Gottesdiensten taugen nicht zur Veränderung der Welt!

Bei solchen Anfragen höre ich sofort die Gegenargumente aus unseren Kreisen: Was soll das moderne Gerede von Claims, wir haben als Kirche doch kein Wohlfühlprogramm zu fahren und den Menschen nicht nach dem Mund zu reden. Die Botschaft Jesu ist doch unser Programm. Einschaltquoten sind das falsche Kriterium. Wir dürfen doch nicht nur unser Fähnchen einfach nach dem Wind des Zeitgeists drehen.
Ob wir es uns da nicht einfach zu leicht machen?

Liebe Leser, natürlich ist Kirche ist keine Rundfunkanstalt. Aber nach einem Gespräch auf unserer Pastoraltagung in dieser Woche mit dem Rundfunkredakteur von Welle Mainfranken, Eberhard Schellenberger, sind mir diese fünf Claims der verschiedenen bayerischen Rundfunksender einfach nicht aus dem Kopf gegangen. Sie sind es meiner Meinung nach wert, sie uns heute am allgemeinen Kirchweihfest einmal als kritischen Spiegel und Gewissenserforschung vor Augen zu halten. „Die Kinder dieser Welt sind im Umgang mit ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichtes!“ (Lk 16,8), diese provozierende These stellte schon Jesus auf und erregte damit die frommen Gemüter.
Ich bin überzeugt: Wenn Kirche sich bewusst diese 5 Claims als Spiegel vor Augen halten würde und im Sinne dieser Claims ihr pastorales Handeln ausrichten würde und nach Wegen suchen würde, wie sie das umsetzen könnte …

Kirche – Immer in Ihrer Nähe
Kirche – Hörbar mehr vom Leben
Kirche – Ist dreimal gut
Kirche – Die ganze Welt der Musik
Kirche – In 15 Minuten kann sich die Welt verändern

… ich bin mir sicher: Wir wären als Kirche näher am Menschen und am Leben dran und auch viel näher an Jesus als mit manch frommen Sätzen und Behauptungen!


Pfarrer Stefan Mai

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