Der Trommler - oder warum hast du den Tod erdacht?

Predigt zum Allerseelentag 2007

Anstatt einer Predigt, heute zum Allerseelentag ein Märchen aus Afrika. Es heißt: Der Trommler - oder "Warum hast du den Tod erdacht?"

Im Himmel lebte Fidimukullu. Er machte alles und sah alles. Und wenn die Menschen alt geworden waren, starben sie. Wenn die Giftschlange biss, kam der Tod. Es war eine große Furcht unter den Menschen. Sie beklagten die Toten und beklagten ihr Leben.
Wenn es Krieg gab, starben viele Männer. Die Sieger schlugen die Alten tot und schleppten die Frauen und Kinder fort. Und wer einen bösen Zauber im Leib hatte, wurde krank und musste sterben. Man konnte manchmal weinen, weil das Leben so grausam war.
Die Medizinmänner machten Zaubermittel gegen die Krankheiten und den Tod. Aber sie halfen nicht immer.

Ein alter Mann, der viele Jahre erlebt und viel Leid erduldet hatte, sah seine Frau sterben. Keiner hatte helfen können. Keiner wusste eine Antwort, warum das alles so war.
'Fidimukullu will es so!', sagte der Medizinmann.
Fidi-mukullu wollte es so! Da machte der alte Mann eine große Holztrommel und ging in den Busch. Dort gab es einen hohlen Baum, der so groß war, dass er bis hinauf in den Himmel reichte, bis zu Fidi-mukullus Dorf. Der alte Mann stellte seine Trommel in die Baumhöhle und schlug mit den Händen den Takt. Er trommelte viele Stunden lang, die ganze Nacht über und sang dazu:

Fidi-mukullu du bist groß!
Du bestimmst des Menschen Los.
Du hast die ganze Welt erdacht,
Du hast die Tiere und Menschen gemacht,
Du befiehlst die Nächte und schickst die Tage.
Alles ist recht. Wenn aber der Tag geht,
klage ich, Gott, vor dir mein Leid.
Warum, Gott, hast du vor allem die Zeit erschaffen,
die den Menschen alt macht?
Warum hast du den Tod erdacht?
Warum ist er unser Los?
Fidi-mukullu du bist groß!



Das sang und trommelte der alte Mann. Es war ein trauriges Lied, und der Mann schickte es jede Nacht zum Himmel empor. Das Grollen der Trommel lief durch den Busch. Es rief zu Fidi-mukullu: 'Warum hast du den Tod erdacht?'
Fidi-mukullu hörte es. 'Was ist das?' fragte er. 'Warum ruft der Mensch zu mir?'
Niemand wusste es. Auch in den folgenden Nächten waren die Trommelrufe und das Klagelied zu hören.
'Wo steckt der Mann?' fragte Fidi-mukullu.
Niemand wusste es.
'Man soll ihn suchen!' befahl Fidi-mukullu.
Die Männer - Krieger und Jäger - streiften umher, um den alten Mann zu suchen, aber sie konnten ihn nicht finden. Und in der kommenden Nacht erklang wiederum das Lied. Die Leute begannen sich zu fürchten. Fidi-mukullu war verärgert darüber.
Er ließ die rote Waldameise zu sich kommen. 'Such du den Mann, Lufumbe, der jede Nacht trommelt und singt!' befahl Fidi-mukullu der Ameise. Lufumbe machte sich auf die Beine. Sie fraß sich dem Wald entgegen. Sie fraß alles ab und fraß sich einen Weg, der zu dem hohlen Baum führte. Sie fand den alten Mann.
'Du sollst zu Fidi-mukullu kommen!'
Der Mann folgte der Kahlspur, die Lufumbe gefressen hatte, und kam zu Fidi-mukullu.
Der machte ein finsteres Gesicht. 'Was bist du für einer!' brummte er. 'Du singst, dass ich Gott bin und alles recht gemacht habe. Aber du beschwerst dich, weil du sterben musst. Bin ich nicht Gott?'
'Du bist Gott', antwortete der Mann.
'Kann ich nicht tun, was mir beliebt?'
'Ja, das kannst du, weil du Gott bist.'
'Warum klagst du also?'
'Ich klage, weil ich ein Mensch bin. Du bist unsterblich, ich hingegen muss sterben. Du hast es so gewollt. Am Tage vergesse ich mein Leid. Wenn die Sonne scheint, sieht die Welt freundlich aus. Nachts aber bin ich traurig. Wenn es dunkel ist, muss ich an den Tod denken. Darf ich darum nicht wenigstens nachts davon singen, wie traurig ich bin, dass ich sterben muss?'
Fidi-mukullu hatte ein ernstes Gesicht. Er antwortete: 'Es ist wahr, dass ich die Menschen zum Leben erwachen und wieder in den tiefen Schlaf fallen lasse. Ich darf es, weil ich Gott bin. Du aber darfst es beklagen, weil du ein Mensch bist und sterben musst.'
'Warum müssen wir sterben?' fragte der Mann.
'Was tut ihr? Ihr esst, trinkt und schlaft. Heißt das leben?'
'Wir jagen, machen Krieg, werden krank, antwortete der Mann. 'Wir bauen Häuser, behängen uns mit Schmuck und feiern Feste. Wir säen und ernten, machen Speere, schnitzen Bilder und erfinden den Zauber. Wir lieben unsere Frauen, ziehen unsere Kinder auf und erzählen ihnen die alten Geschichten. Wir essen, trinken und schlafen.'
'Und ihr müsst sterben!' fügte Fidi-mukullu hinzu. 'Denn ohne den Tod wäre das Leben nicht gut. Darum sing weiter, Mann!'
Da kehrte der Mann in sein Dorf zurück. Nachts stand er im hohlen Baum, und seine schwieligen Hände schlugen den Takt. Er sang die Klage vom Leben und Sterben:

Fidi-mukullu du bist groß!
Du bestimmst des Menschen Los.
Du hast die ganze Welt erdacht,
Du hast die Tiere und Menschen gemacht,
Du befiehlst die Nächte und schickst die Tage.
Alles ist recht. Wenn aber der Tag geht,
klage ich, Gott, vor dir mein Leid.
Warum, Gott, hast du vor allem die Zeit erschaffen,
die den Menschen alt macht?
Warum hast du den Tod erdacht?
Warum ist er unser Los?
Fidi-mukullu du bist groß!


Pfarrer Stefan Mai

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