Die Krone des Lebens

Totengedenkfeier auf dem Deutschfeldfriedhof zu Allerheiligen 2007 (Offb 2,8-11)

Einleitung

Ein Spruch aus der Romantik lautet:

Schätze, was du wert bist, richtig ein -
denk nicht so groß von dir und nicht zu klein!
Du bist ein Nichts und ein welkes Blatt im Wind -
und doch ein König und eines Königs Kind.


Mit diesen Worten umschreibt das kurze Gedicht die Größe und Hinfälligkeit des Menschen und möchte auf diesem Hintergrund zu einer richtigen Selbsteinschätzung anregen. Auf der einen Seite der Mensch in seiner Kleinheit, auf der anderen Seite in seiner Würde, die ihn als Krone der Schöpfung heraus hebt. Bei unseren Besuchen auf den Friedhöfen wird uns die Hinfälligkeit und Sterblichkeit des Menschen bewusst. Und doch, meine ich, sind unsere Friedhöfe Orte, an denen Menschen an die Königswürde und die Krone des Lebens über das Grab hinaus glauben.

Predigt

Nach dem Gewinn des Weltmeistertitels traten die deutschen Handballer alle mit einer Krone auf dem Kopf zur Siegerehrung an. Sie fühlten sich wie Könige.
Sich wie ein König fühlen, das ist ein tolles Gefühl. In manchen Kindergärten ist es Brauch: Wer Geburtstag hat, darf sich auf einen Thron setzen, feierlich wird ihm eine Krone aufgesetzt und alle singen: Wie schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst. Und das Kind fühlt sich wie ein König.
Sich wie ein König fühlen – wer hätte nicht diese Sehnsucht? Und Gott sei Dank gibt es diese Momente im Leben: das Abiturzeugnis oder der Gesellenbrief in den Händen; der Moment, wenn einem der Hochzeitsantrag gemacht wird; wenn ein Karrieresprung gelungen ist: Dann fühlt man sich wie ein König.
Aber die langen Strecken des Lebens sehen anders aus: durchstehen, aushalten, Routine – von der „Krönung“ des Lebens keine Spur.
„Kronen geben mir nichts“ – so beginnt auch ein Gedicht von Lene Mayer-Skumanz. Aber dann macht sie auf dem Friedhof eine Entdeckung. Sie schreibt:

Kronen geben mir nichts,
Kronen sagen mir nichts,
sind nur was für den Müllplatz
der Weltgeschichte,
verschon mich mit Kronen.

Dann hab ich mit Freunden
den alten Friedhof gesäubert,
kids for peace oder so,
Unkraut oder Moos gezupft,
Steine gebürstet.
Und hab sie mit einem Mal
unter den Händen gehabt,
Krone um Krone,
drüben im jüdischen Eck
als Krönung der Gräber.
Die haben an die Krone des Lebens geglaubt,
hat einer von uns gesagt,
und wer weiß, haben sie recht,
jedenfalls wissen sie’s schon.


Sie wissen’s schon und sie haben’s erfahren. Davon ist auch unsere christliche Tradition überzeugt. Wir haben die Verheißung im Buch der Offenbarung gehört: „Ich weiß, dass dein Leben kein Honigschlecken war. Ich weiß, dass du oft arm dran warst, viele Sorgen tragen und dich mit vielem herumschlagen musstest. Aber sei treu bis in den Tod, dann werde ich dir die Krone des Lebens geben“ (nach Offb 2,8-11).
Es gehört zu den tröstlichen Elementen der christlichen Botschaft: Mag in deinem Leben vieles sich nicht erfüllen, vieles danebengehen, magst du vieles nicht erreichen, wovon du geträumt hast; dein Leben bleibt am Ende nicht Fragment und Chaos. Es wird von Gott gekrönt.
Ich würde mir es wünschen: Wenn Menschen einmal an meinem Grab vorbeigehen, dass sie sagen können: Der hat an die Krone des Lebens geglaubt.

Litanei

Gott, du Herr der Welt und der Geschichte, wir rufen heute zu dir:

Antwortruf: Lass uns glauben, Herr!

An die Erfüllung des Lebens bei dir
An die Verwandlung der Schmerzen
An die Vergebung der Schuld
An das Aufleuchten eines Sinnes
An die Antwort auf die vielen ungelösten Fragen
An eine endgültige Gerechtigkeit
An die ewige Freude
An das Schauen deines Angesichts

Dass unser Leben nicht in das Nichts hinein verrinnt
Dass du es bist, der uns erwartet
Dass wir die Menschen, die wir auf Erden lieb gehabt haben, bei dir wieder sehen
Dass wir alle, mit denen wir uns hier schwer taten, einmal verstehen
Dass wir deine Güte erfahren
Dass wir bei dir uns frei und glücklich fühlen
Dass uns deine Größe aufgeht
Dass wir bei dir geborgen und endgültig daheim sind

Antwortruf: Schenke die Krone des Lebens

Allen, die an dich geglaubt haben
Allen, denen es nicht geschenkt war, an dich zu glauben
Allen, die an dir verzweifelt sind
Allen, deren Leben schon beendet war, bevor sie auf die Welt kamen
Allen, die mitten aus dem Leben heraus gerissen wurden
Allen, die im Leben unglücklich waren
Allen, die das Leben genießen durften
Allen, die alt und lebenssatt sterben konnten
Allen, die unter Ängsten und Schmerzen gestorben sind
Allen, die ruhig und gelassen gegangen sind
Allen, die nicht mehr ein und aus wussten und sich das Leben genommen haben
Allen, deren Leben von schweren Schicksalsschlägen überschattet war
Allen, deren Leben bei Katastrophen und Unfällen ausgelöscht wurde
Allen, die in Kriegen und Terroranschlägen ihr Leben lassen mussten
Allen, die schon vor dem Tod den sozialen Tod gestorben sind
Allen, um die niemand geweint und deren Tod niemand getrauert hat
Allen, die tiefe Spuren auf dieser Welt hinterlassen haben
Allen, von deren Existenz man kaum Notiz nahm
Allen, die ihr Leben als Bürde und Last empfunden haben
Allen, die heute noch sterben werden
Auch uns, die wir das Leben noch vor uns haben

Gott ist uns König, Herr und Vater, mehr noch ewige Liebe, Weisheit und Mutter, und mehr, noch viel mehr ... so schrieb Papst Paul Johannes I. Gott, erhalte uns diesen Glauben, heute und alle Tage unseres Lebens. Amen.

Gebet (nach Psalm 8)

Herr, unser Herrscher, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde,
über den Himmel breitest du deine Hoheit aus.
Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge schaffst du dir Lob.
Seh ich den Himmel, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt:
Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst,
des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?
Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott,
hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt.
Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände,
hast ihm alles zu Füßen gelegt..
Herr, unser Herrscher, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde.


Pfarrer Stefan Mai

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