Angesichts des Todes

Predigt zum Patrozinium Maximilian Kolbe 2007

Der frühere Spiritual des Münsteraner Priesterseminars, Johannes Bours, erzählt in einem seiner Bücher von einem grausamen Erlebnis, das sich ihm tief ins Hirn brannte. Im Januar 1945 wurde er eines Nachts von einem Offizier einer deutschen Strafkompanie benachrichtigt, dass er zur Verfügung stehen müsse, wenn ein zum Tode verurteilter Soldat vor seiner Hinrichtung einen Pfarrer wünsche. Der wegen „Fahnenflucht“ verurteilte Soldat war gerade 18 Jahre alt. Gegen 6 Uhr früh wurde ihm das Urteil gesprochen, zwei Stunden später, im Morgengrauen sollte das Urteil vollstreckt werden. Bours saß mit ihm in der Stube eines verlassenen Bauernhauses zusammen. Seine Hände waren gefesselt, draußen vor der Tür und vor dem Fenster stand je ein Soldat mit einer Maschinenpistole. Nach dem furchtbaren Schweigen der ersten Minuten schaute der 18-Jährige den Priester groß an und fragte ihn: „Gibt es keinen Ausweg mehr?“ Nein, es gab keinen Ausweg mehr. Zwei Stunden später wurde er zur Erschießung in eine Sandgrube gezerrt. Die ganz Kompanie musste zur „Abschreckung“ antreten. Bours blieb neben dem Verurteilten stehen. Als er an einen Pfahl gebunden wurde, durfte ihm noch einmal ein letztes Wort der Hoffnung sagen, bevor die Schüsse fielen.

Vor einem Jahr hat eine Gruppe aus unserer Pfarrei die Wirkungsstätten Maximilian Kolbes in Polen besucht. Keiner, der dabei war, wird wohl das Konzentrationslager Auschwitz vergessen, in dem Maximilian Kolbe die Todesspritze im Hungerbunker gesetzt wurde. Die Männer, die in diesem Todesbunker landeten, wussten, es gibt keinen Ausweg mehr. Grausam, nur dies zu wissen: Sie werden dich unendlich quälen, aber herauskommen wirst du hier nicht mehr. Jede Tür ist zugeschlagen. Es gibt keinen Ausweg mehr. Wie kann man nur eine solch grausame Gewissheit ohne jede Hoffnung aushalten?!Insert pic!Kreuz von Stefan Jasienski


Bis heute ist in einer Zelle des Todesbunkers dieses Kreuz zu sehen. Ein polnischer Architekturstudent, Stefan Jasnienski, hat mit seinen Fingernägeln den Gekreuzigten im Wissen in die Wand gekratzt, es gibt keinen Ausweg mehr angesichts des sicheren Todes. Welch ein Zeichen! Der Glaube an den Gekreuzigten, der selbst keinen Ausweg mehr sehen konnte, als letzter Hoffnungsanker und letzte Lebenskraft.

In die Kellergewölbe des Todesblocks wurde auch Maximian Kolbe hinabgestoßen. Mit 9 Mitgefangenen wurde er in die Zelle 18 eingepfercht. In der Zelle befand sich nichts, außer einem Kübel für die Notdurft. Zementwände, 3 Meter lang und drei Meter breit, kalt, rau und beschmutzt, Zementfußboden. Wenn die Tür hinter den Gefangenen zugeschlagen wurde, gab es keinen Ausweg mehr. Die Gefangenen bekamen nichts mehr zum Essen und zum Trinken. Alle starben hier durch den Hungertod oder durch Erstickung. Tobsuchtsanfälle waren hier an der Tagesordnung. Durch die Korridore hallten aus den Zellen die Schreie derer, die sich vor Schmerzen wanden, und das Röcheln und Stöhnen Sterbender.
Aber: Der Todesblockbeaufsichtige Borgowiec getraute seinen Ohren nicht: Aus Zelle 18 Rosenkranzgebet. Maximilian Kolbe begann die Gebete, andere übernahmen den nächsten Teil. Und die Gebetskette pflanzte sich über die Nachbarzellen fort. Und als das Rosenkranzgebet zu Ende war, stimmte er Marienlieder an. In den Gängen des Bunkers ertönte es wie in einer Kirche. Der Gesang war lauter wie der Widerhall der Schritte wütender kontrollierender SS Leute und reizte die Aufseher bis aufs Blut. Den Verurteilten gab das Singen und Beten Kraft.

Liebe Leser, grausam diese Gewissheit: Es gibt keinen Ausweg mehr. Und ein Stefan Jasnienski ritzt mit den Fingernägel den Gekreuzigten in die Wand. Und ein Maximilian Kolbe fängt zu beten an und singt mit seinen Kameraden religiöse Lieder.
Haben sie sich schon einmal gefragt: Wenn es einmal für mich zur grausamen Gewissheit wird: Es gibt keinen Ausweg mehr. Gibt es dann ein Zeichen, ein Gebet, ein Lied, gibt es irgend etwas, das mir helfen könnte, diese grausame Gewissheit auszuhalten und zu bestehen?


Pfarrer Stefan Mai

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