Feuer

Predigt zum Tag der ewigen Anbetung 2007

(Szenerie: Die Kirche ist dunkel – Vor dem Altar ist ein Dornbusch drapiert, in ihm brennen Feuerschalen, auf dem Altar steht die Monstranz)

„Feu“ – Feuer – dieses eine Wort steht wie eine Überschrift auf einem kleinen Pergamentstück. Vor diesem Wort und danach staccatohaft hingeschleuderte Worte und Satzfetzen, Bruchstücke aus der Heiligen Schrift, alles zitternd vor Erregung. Wie Feuer bricht es heraus aus einem aufgewühlten Menschen. Er heißt Blaise Pascal.

Das Jahr der Gnade 1654
Montag, 23. November, Tag des heiligen Clemens...
Von ungefähr zehn und einhalb Uhr am Abend bis ungefähr eine halbe Stunde nach Mitternacht,
Feuer.
Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs,
Nicht der Philosophen und Gelehrten.
Gewissheit. Gewissheit. Empfindung. Freude. Friede.
Gott Jesu Christi


Wenige Tage nach dem Tod von Blaise Pascal bemerkte sein Diener im Rockfutter des Fracks seines Herrn eine wulstige Stelle. Er trennte die Stelle auf und fand darin ein Pergament. Es ist die Handschrift von Blaise Pascal. Das große naturwissenschaftliche und mathematische Genie war gerade 30 Jahre alt. Von allen bejubelt, dauernd hofiert im Umkreis des höfischen Milieus. Aber innerlich stand er in der Gefahr einer verflachenden Verweltlichung und gähnenden Leere. Da geschieht plötzlich und unerwartet die große Wandlung seines Lebens. Pascal hat auf dem kleinen Pergamentstück dieses umwälzende Ereignis seine Lebens notiert. Es ist die Nacht des 23. Novembers 1654. Da bricht Gott wie ein Brandstifter völlig überraschend in sein Leben ein und stellt es auf den Kopf: Feuer! Eine Gotteserfahrung haut ihn von den Socken, ja verbrennt ihn fast. Blaise Pascal hat danach noch acht Jahre zu leben, mit 39 stirbt er. Nie hat er einem Menschen von diesen feurigen Nachtstunden erzählt. Aber stets trug er dieses „Memorial“, dieses Erinnerung an die nächtliche Feuerstunde im Rockfutter, in der Nähe seines Herzens. Diese Gedenkschrift nähte er immer wieder neu ein, wenn er sich neue Kleider machen ließ, um das Gedächtnis an diese Stunden, die sich in sein Leben tief eingebrannt hatten, wach zu halten.

Anruf aus dem Feuer. Wer es mit Gott zu tun bekommt, der steht in einer Feuerzone. Es gibt diese Stunden, in denen Menschen dies erfahren, in denen sie wissen: Jetzt gibt es kein Ausweichen mehr. Jetzt ausweichen wäre tiefster Gottes- und Selbstverrat. Die erste große Gotteserfahrung der Bibel erzählt davon: Gott erscheint dem Mose im Feuer. Dieser brennende Dornbusch wirft das Leben des Mose durcheinander. Dieses Erleben des Feuers in der Wüste packt ihn. „Da rief Gott ihm mitten aus dem Dornbusch zu: Mose, Mose!“ Und da spürt ein Mensch: Es gibt kein Ausweichen mehr. Da packt mich ein Anspruch, da erkenne ich einen Lebensauftrag, der mir zugemutet wird, auch wenn er mir zu groß vorkommt. Ich spüre nur: Da gibt es kein halbes Sich-Einlassen, auch wenn es mich innerlich zurückschrecken lässt. Da gibt’s nichts zu entschuldigen und aufzuschieben.

Es kann sein, dass ein Mensch von dem, was er mit Gott meint, nie beunruhigt wird. Er hat den Glauben an ihn durch die Erziehung, durch die Prägung seiner Umwelt geerbt und einfach übernommen. Der Glaube bleibt unangefragt. Nie hat er darum ringen und kämpfen müssen. Nie hat er eine Feuerprobe bestehen müssen. Auf der einen Seite ein Geschenk, aber auch zugleich die große Gefahr, dass der Glaube an Gott flach wird und keine Glut mehr hat und ausstrahlt. Gott verblasst, ja verschwindet aus dem Bewusstsein.

Die Feuergeschichte vom brennenden Dornbusch in der Wüste mitten am helllichten Tag und das Feuererlebnis des Blaise Pascal mitten in der Nacht machen mir klar: Menschen, die selbst mit dem Feuer in Berührung gekommen sind oder gar durchs Feuer gehen mussten, die haben eine besondere Glut. Sie machen mir auch klar: Es wird darauf ankommen, ob ich im Leben Feuer gefangen habe, so wie es Alfred Delp im Feuerofen der nationalsozialistischen Haft beschreibt: „Ein Leben ist verloren, wenn es nicht in eine innere Haltung, eine Leidenschaft, in ein inneres Wort zusammengefasst ist. Der Mensch muss unter einem geheimen Imperativ stehen, der all seine Stunden verpflichtet und all seine Handlungen bestimmt. Nur ein so geprägter Mensch wird Mensch sein können, jeder andere wird Dutzendware.“

Liebe Leser! Die Flammen aus dem brennenden Dornbusch und das heilige Brot, Zeichen für die Nähe Jesu, im Fenster der feuervergoldeten Monstranz sind heute am Tag der Ewigen Anbetung „Anrufe aus dem Feuer“. Sie stellen mir Fragen:
War ich schon einmal in einer Stunde meines Lebens tief betroffen, weil ich gespürt habe, da war mir Gott nahe?
Habe ich schon einmal die brennende Frage in mir gespürt: Was erwartet Gott jetzt von mir? Wofür bin ich Feuer und Flanmme?

Die Flammen aus dem Dornbusch und die feuervergoldete Monstranz rufen wieder einmal eine vergessene und gefährliche Seite Gottes in Erinnerung und machen mir einen leidenschaftlichen Jesus bewusst, der selbst Brandstifter sein wollte und Menschen mit seiner Glut anstecken wollte: „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!“ (Lk 12,49)


Pfarrer Stefan Mai

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