Mit dem Appell-Ohr gehört?

Predigt zum 27. Sonntag im Jahreskreis (Lk 17,5-10)

Wie haben Sie diese Worte Jesu heute gehört? „Wenn euer Glaube auch nur so groß wäre wie ein Senfkorn, würdet ihr zum Maulbeerbaum hier sagen: Heb dich samt den Wurzeln aus dem Boden, und verpflanz dich ins Meer! Und er würde euch gehorchen.“ Wie sind diese Worte bei Ihnen angekommen?

Ich vermute, bei vielen von uns als verdeckter Vorwurf. Unser Appellohr ist sehr geschärft. Da bekommen die Worte Jesu leicht den Unterton: Glaubt einfach stärker, intensiver. Ja wir hören leicht eine Unterstellung heraus: Ihr geht zu lasch mit dem Glauben um, ihr pflegt ihn zu wenig, bemüht euch zu wenig um ihn. Kein Wunder, wenn er da keine Kraft hat und nichts im Leben bewirkt. Reißt euch gefälligst zusammen! Bemüht euch mehr!

Sind diese Worte Jesu wirklich so gemeint? Ich glaube es nicht.
Da kommen die Apostel zu Jesus. Sie spüren: unser Glaube ist nicht felsenfest. Er steht eher auf wackeligen Beinen. Und sie haben deswegen die Sehnsucht nach einen starken Glauben, einen Glauben, der Berge versetzen kann und sich durch nichts aus der Bahn werfen lässt. Und sie bitten Jesus um dieses unerschütterliche Gottvertrauen. Ich glaube, die Antwort Jesu ist kein Appell zu einem intensiveren Glauben, oder gar ein Rüffel wegen Glaubensschwäche. Seine Antwort will eher Mut machen. Sie ist eher in diesem Sinn zu verstehen: Auch wenn euer Glaube nur so groß ist wie ein Senfkorn, er hat dennoch eine große Kraft. Er kann im Leben Dinge bewirken, die ihr mit eigener Kraft nie schaffen würdet. Nie könntest du mit eigener Kraft Dinge tun, wie z. B. einen Baum aus den Wurzeln heben und ihn im salzigen Meerwasser wieder anwurzeln lassen. Aber der Glaube, mag er noch so klein sein, schenkt Menschen oft ungeahnte Kräfte. Die Kraft des Glaubens besteht darin, im Vertrauen auf Gott abgeben zu können, was mich überfordern würde und was ich selbst nicht besorgen oder leisten kann.

Liebe Leser, ein Automobilhersteller kündigt heute sein neuestes Modell mit dem Slogan an: „Nichts ist unmöglich!“ Vom Automobil-Pionier Walter Chrysler dagegen wird etwas anderes erzählt. Er soll seine alltäglichen Sorgen aufgeschrieben und in einer kleinen Schachtel auf seinem Schreibtisch abgelegt haben. Wenn er diese Sorgenschachtel nach einigen Wochen wieder öffnete, konnte er die meisten seiner Befürchtungen in den Papierkorb werfen: Sie hatten sich von selbst erledigt oder waren längst vergessen. Walter Chrysler machte sich dadurch klar: die Halbwertzeiten der Sorgen sind meist geringer als du annimmst. Vieles, was dir Sorgen macht, brauchst du oft gar nicht bewerkstelligen, oft wird es dir einfach abgenommen. Warum also hast du so wenig Vertrauen ins Leben und in Gott? Ob nicht das die ungeheure Kraft des kleinen Senfkorn-Glaubens ist: das Vertrauen, dass ein anderer um dich besorgt ist und für dich vieles erledigt?


Pfarrer Stefan Mai

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