Wie maßgeschneidert für Elisabeth

Predigt zum 25. Sonntag im Jahreskreis bei der Pfarrwallfahrt nach Üchtelhausen am 22.9.2007 (Am 8,4-7; Lk 16, 10-13)

Wie maßgeschneidert für die hl. Elisabeth, über die wir heute auf unserer Wallfahrt nachgedacht haben, sind die Schrifttexte des 25. Sonntags im Jahreskreis. Da liest Amos den Reichen des Landes kräftig die Leviten. Er wirft ihnen vor, schamlos alles der Maxime von Profit und Wirtschaftlichkeit unterzuordnen. Sie verschaukeln die Armen und machen sogar noch aus Speiseabfällen Geld. Wie aktuell! Und im Evangelium bläst Jesus ins gleiche Horn. Hart geht er mit dem ungerechten Reichtum und dem Götzen Mammon ins Gericht.

Eigentlich verrückt! Ausgerechnet Elisabeth, die selbst aus reichem ungarischen Königshaus stammt und als Kleinkind eine habgierige Mutter erlebt. Ausgerechnet sie, die schon als 4-Jährige mit einem thüringischen Landgrafensohn verkuppelt wird, damit Geld zu Geld kommt, fühlt sich in der Welt der Reichen nicht wohl. Ausgerechnet sie, obwohl von Geburt und Stand zu den Reichen gehörig, entwickelt eine fast verrückte Leidenschaft für die Armen und Kranken. Schon als Kind kann sie es nicht ertragen, ein Prinzessin-Krönchen im Anblick des Dornengekrönten zu tragen. Als Teenager wird sie mehr und mehr sensibel für die Verführungen des Reichtums und erkennt die Gefahren, die in der Welt des Reichtums liegen.

Der Franziskaner-Pater Heribert Arens hat die Gefahren des Reichtums so umschrieben: Eine Gefahr des Reichtums ist die Gier. Immer mehr, immer mehr, immer mehr! Der Gierige kann den Augenblick nicht mehr genießen. Er will immer mehr, immer Größeres, immer Exquisiteres. Er wird mit der Zeit ein Getriebener.
Eine zweite Gefahr des Reichtums ist der Geiz. Der Geizige verliert die Bereitschaft zum Teilen. Er will nur für sich selbst haben. Und am Ende gönnt er sich oft selbst nichts mehr. Der Geizige sieht den anderen nicht mehr, er sieht nicht einmal sich selbst. Vor nichts hat er mehr Angst, als seinen Reichtum zu verlieren – und verliert dabei sein Leben. Und am Ende lachen sich die Erben „ins Fäustchen“.

Eine dritte Gefahr des Reichtums ist eine abnehmende Wahrnehmungsfähigkeit. Nur zu schnell verliert der Reiche das Gespür dafür, wie andere sich plagen müssen, um durchs Leben zu kommen. Leicht verliert der Reiche das Auge dafür, dass andere in Not sind – vielleicht sogar durch ihn. Er lebt sein Leben auf einer Insel und sein Sensus für die anderen stirbt mehr und mehr ab.
Die vierte und vielleicht übelste Gefahr ist Hochmut und Menschenverachtung. Der Reich erhebt sich leicht über den Armen. Er glaubt mehr zu sein als der Arme, weil er mehr hat. Er verwechselt „haben“ mit „sein“.

Diesen Gefahren des Reichtums ist Elisabeth nicht erlegen. Obwohl von Haus aus reich, kannte sie die Gier nicht. Nicht „immer mehr“ war ihre Devise, sondern „immer weniger“. Sie war nicht glücklich, wenn sie dazubekam, sondern, wenn sie verschenken konnte.
Darum war ihr der Geiz fremd. Wenn sie ihren Reichtum sah, dann löste das in ihr nicht Besitzerglück aus, sondern die Frage: „Wer braucht das jetzt notwendiger als ich?“ Und sie löste sich von ihrem Besitz, in kleinen Portionen - und nach dem Tod ihres Mannes auch in einer klaren Lebensentscheidung.
Und sie hatte eine hohe Wahrnehmungsfähigkeit. Es machte ihr zu schaffen, dass sie auf der Wartburg in Saus und Braus leben konnte, während vor den Toren der Wartburg die Armen hungerten. Da ist sie nie abgestumpft. Im Gegenteil: ihr Gespür für dieses Unrecht hat sich im Lauf ihres Lebens immer mehr vertieft. Elisabeth weigerte sich zu essen, wenn Speisen auf dem fürstlichen Tisch serviert wurden, die geraubt waren oder den armen Bauern als Fron abgezogen wurden. Unter den Reichen erntete sie dafür nur Kopfschütteln.
Und schließlich hielt sie sich nicht für etwas Besseres. Hochmut und Menschenverachtung waren ihr fremd. Sie begegnete den Armen und Kranken mit größter Hochschätzung, weil sie zutiefst überzeugt war: Im notleidenden Menschen begegnet mir Christus selbst.

Liebe Leser, Elisabeth ist keine bequeme Heilige. Sie stellt heutige Lebensstandards in Frage, die wir in unserer westlichen Zivilisation wie selbstverständlich genießen und die wir – wenn wir Mut zum Nachdenken haben – uns nur auf Kosten anderer leisten können. Schon ihr Name allein bleibt eine ständige Anfrage. Elisabeths Name heißt nämlich übersetzt: „Gott ist Fülle“. Ist Gott für mich wirklich die Fülle des Lebens oder meine ich: Leben wird erst zu einem erfüllten Leben, wenn ich alles in „Hülle und Fülle“ habe?


Pfarrer Stefan Mai

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