Wofür Jesus wirbt

Predigt zum 24. Sonntag im Jahreskreis (Lk 15,1-32)

I -

Irgendwie spürt er seit einiger Zeit: Es rumort in mir. Die Arbeit, ein schöner Urlaub, manchmal ausgehen und es sich gut gehen lassen, alles recht und schön. Aber er stellt fest: Das Leben ist flach und oberflächlich geworden. Er sehnt sich nach mehr Tiefe. Er beginnt wieder zu lesen und beschäftigt sich neu mit Lebensfragen. Oft ist er in der Buchhandlung zu finden und schmökert in Büchern der Sparten Lebensratgeber, Psychologie und Religion. Und er erinnert sich an seine Kindheit: An das kleine Engelchen über seinem Bett. Es war wie ein Schutzschild gegen die Ängste. An seine verstorbene Mutter, die täglich am Bettrand saß und mit ihm das Abendgebet „Müde bin ich, geh zur Ruh...“ sprach. Und er hat die Stimme von Karin noch im Ohr, die mit ihrer wunderbaren Stimme bei Festgottesdiensten sich über den Kirchenchor hinaushob und alles in der Kirche so zum Schweben brachte, dass er seine Knie auf der harten Kniebank nicht mehr spürte. Aber all das ist lang her. Die Liturgie ist ihm irgendwie fremd geworden. Da kennt er sich nicht mehr aus. Soll er wieder einen Versuch wagen? Und er fasst sich ein Herz. Nach langer Zeit geht er wieder zum ersten Mal am Sonntag zum Gottesdienst. Es hat ihm viel Überwindung gekostet. Unterwegs hat dann ein regelmäßiger Kirchgänger zu ihm gesagt: „Na, kriechst du auch wieder zu Kreuze?“ Der Mann war zutiefst betroffen und verletzt. Das Wort hat ihm so wehgetan, dass er von diesem Tag an nie mehr zur Kirche gegangen ist.

II - Eine Geschichte, die der Schriftsteller Paulo Coelho erzählt.

Juan ging jeden Sonntag zum Gottesdienst. Aber nach einiger Zeit kam es ihm so vor, als sagte der Pastor immer dasselbe und er blieb dem Gottesdienst fern.
Zwei Monate später, in einer kalten Winternacht, besuchte ihn der Pastor. „Er ist sicher gekommen mich zu überreden, wieder zur Kirche zu kommen,“ dachte Juan. Er fand, er könne ihm nicht den wahren Grund für sein Fernbleiben sagen, nämlich die immer gleichen Predigten. Während er sich eine Ausrede zurecht legte, stellte er zwei Stühle vor den Kamin und redete über das Wetter. Der Pastor sagte kein Wort. Juan, der eine Zeitlang vergebens versuchte hatte, ein Gespräch in Gang zu bringen, schwieg ebenfalls. Beide blickten fast eine halbe Stunde lang schweigend ins Feuer. Dann erhob sich der Pastor und holte mit einem Zweig ein Stückchen Glut aus dem Feuer. Die Glut, die nicht mehr genügend Hitze bekam, begann zu verlöschen. Juan beeilte sich, sie in die Mitte der Feuerstelle zurück zu schieben.

„Gute Nacht“, sagte der Pastor und erhob sich, um zu gehen. „Gute Nacht und - vielen Dank“, antwortete Juan und hörte den Pastor beim Hinausgehen noch ganz ruhig sagen: „Das Stückchen Glut, das fern vom Feuer ist, erlischt am Ende, so hell es auch anfangs geglüht haben mag. Der Mensch, der sich von seinesgleichen entfernt, kann seine Wärme und seine Flamme nicht erhalten. Mag er auch noch so intelligent sein.“ - „Ich werde nächsten Sonntag wieder in die Kirche kommen.“


Liebe Leser, ich glaube, ich brauche Ihnen nicht groß erklären, welcher der beiden Männer die Haltung, um die Jesus heute in seinen Gleichnissen wirbt, hat spüren dürfen!


Fürbitten

Die Gleichnisse vom verlorenen Schaf, der verlorenen Drachme (dem verlorenen Sohn) erzählen in Bildern, wie Gott mit uns umgeht. Im Vertrauen darauf beten wir:

Für alle, die neu suchen und sich in ihrer Suche schwer tun bei den vielen Stimmen, die um sie werben und sie umgeben

Für alle, deren Leben von Leid gezeichnet ist: von schwerer Krankheit oder Behinderung, von Schicksalsschlägen oder eigenem Versagen

Für alle, die sich ganz verloren vorkommen und Sehnsucht nach Kontakt zu Menschen haben, sich aber nicht aus ihrem Schneckenhaus heraustrauen

Für unsere Pfarrgemeinden, die darunter leiden, dass viele Menschen die Beheimatung in ihren Reihen verloren haben, die aber auch zugleich wissen, dass sie oft wenig Ausstrahlungskraft besitzen

Für unsere Toten, die wir bei dir geborgen wissen

Gott, Jesus wurde nicht müde zu erzählen, dass du ein barmherziger Gott bist. Dafür danken wir dir durch Christus, unsern Herrn.


Pfarrer Stefan Mai

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