Bemüht euch mit allen Kräften

Predigt zum 21. Sonntag im Jahreskreis (Lk 13,22-30)

Predigt

Im Schlusszeugnis am Ende des ersten Schuljahres sind im Wortgutachten folgende Zeilen zu lesen:
Erika ist eine freundliche, ruhige Schülerin. Im Umgang mit den Klassenkameraden zeigt sie sich hilfsbereit und rücksichtsvoll. Am Unterrichtsgespräch beteiligt sie sich häufig nur nach persönlicher Aufforderung. Im schriftlichen Bereich arbeitet sie recht langsam und zeigt eine hohe Ablenkungsbereitschaft. Bei der Fertigung ihrer Hefteinträge b e m ü h t sie sich um Sorgfalt. Eine formgenaue Schrift fällt ihr jedoch schwer...

Wissen Sie, wie die Hefteinträge von Erika in natura ausschauen? Da steht zwar: „Sie bemüht sich um Sorgfalt“, das heißt aber so viel wie: Erika hat eine scheußliche Klaue. Die Buchstaben wackeln rüber und nüber, eine grässliche Schrift, der Gesamteindruck von einer Heftseite ist alles andere als eine Augenweide.
Ich weiß: Wie alle Vorgesetzten, die Arbeitszeugnisse schreiben müssen, sind auch Lehrer und Lehrerinnen gezwungen, positiv zu formulieren und eigentlich negative Aussagen noch schön zu verpacken. Aber ich frage mich: Wie kann es denn dazu kommen, dass das Tunwort „bemühen“ in der Zeugnissprache eine solch negative Färbung bekommt? Wie kann es dazu kommen, dass ein Wort, das eigentlich mit Anstrengung, Einsatz und Schweiß verbunden ist, in der Sprache der Zeugnisse zu einer bloßen Floskel verkommt oder für eine negative Arbeitshaltung herhalten muss? Ich habe nur eine Erklärung: In unserer Leistungsgesellschaft zählt nicht mehr das Bemühen. Da zählen Bilanzen mehr als das Ringen von Menschen. Da ist das Ausschlag gebende Kriterium der Erfolg. Das Erreichen, das Erfüllen der Norm steht an oberster Stelle, nicht das Hin- und Herüberlegen, das Sich-Zusammenreißen, das Mühe-Geben.

Das heutige Evangelium spricht da eine andere Sprache. Bei Jesus hat das Wort „bemühen“ einen anderen Klang. Da wird geradezu dieses Tun-Wort zum Einlasskriterium ins Reich Gottes. Da fragt einer nach Erfolgszahlen: „Herr, sind es nur wenige, die gerettet werden?“ Und Jesus kontert mit den Worten: „Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen...“ Jesus kommt es nicht auf das Erreichen gewisser Standards an, nicht auf Erfolg, nicht auf makellose Bilanzen. Nein, sein Kriterium für das Durchkommen durch die enge Tür ist das ehrliche Bemühen. An sich arbeiten, zäh an einem Ziel festhalten. Dort auch Kraft zu investieren, wo es mir schwer fällt. Sich von Widrigkeiten nicht abbringen lassen das zu tun, was ich für richtig halte.

„Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen!“
Das tut ein Mensch, der ständig versucht, durch die enge Tür zu seinem wahren Selbst zu gelangen. Der seinen eigenen Stärken traut, aber auch die blinden Flecken ernstnimmt, auf die er hingewiesen wird. Der sich nicht entmutigen lässt von vorgespielten Masken, die er an sich entdeckt und sich an seinen Schattenseiten reibt, um sich zu verändern, um sich immer mehr auf die Spur zu kommen.
„Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen!“
Das tut ein Mensch, der einmal von seinem Traumberuf geträumt hat, ihn aber nicht erreichen konnte. Auch wenn er noch manchen Tag dem nicht erreichten Ziel nachweint, bemüht er sich, in seiner Lebenssituation seiner Verantwortung gerecht zu werden und das Beste zu geben.
„Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen!“
Das tut ein Mensch, der Türen zu schwierigen Menschen finden möchte und mit ihnen fair umzugehen versucht. Der ihre Verletzungen ernst nimmt, aber auch darauf hofft, dass durch seine Ausstrahlung Vertrauen zu Menschen im anderen wachsen kann
„Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen!“
Das tut der Mann, dessen Lebensphase jetzt durchs Kreuz führt. Vieles wird ihm zugemutet, was ihm nicht schmeckt, durch vieles muss er hindurch, woran er sich eigentlich vorbeischleichen möchte. Und er denkt sich: Der erste Tür im Leben, der Geburtskanal, war eine enge Tür. Das ist doch ein Bild fürs Leben. Da wird es immer wieder einmal eng werden. Solche Lebensphasen und Herausforderungen wollen durchschritten sein. Und auch die letzte Tür des Lebens wird eng sein.

Liebe Leser! Ein Mensch hat sich bemüht: in seiner Lebenslage, nach seinen Fähigkeiten, in seinen Grenzen. Wo solches Verhalten gewürdigt und geschätzt wird, da – meine ich – ist ein Stück vom verheißenen Reich Gottes, das nach Jesus nur durch das Bemühen zu erreichen ist, enge Türen zu durchschreiten, schon hier Wirklichkeit geworden.

Fürbitten

Glauben ist kein statisches Besitzen, sondern ständiges Bemühen um eine lebendige Beziehung zu Gott. An ihn wenden wir uns mit unseren Bitten:

Für alle Christen, die sich bemühen, durch ihr Wort und Lebensbeispiel den Glauben weiterzugeben: Um Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft

Für die Menschen, die auf der Suche sind: Um Offenheit für die Fragen des Lebens

Für die Kranken und alle, die schwere Schicksalsschläge zu verkraften haben: Um das Entdecken eines verborgenen Sinns

Für uns selbst. Um eine ständige Bereitschaft, an sich zu arbeiten und um das Bemühen, einen positiven Beitrag für ein gutes Miteinander zu leisten

Für unsere Verstorbenen: Um die Gnade, nach dem Durchschreiten der engen Tür des Todes, das Glück im Reich Gottes zu genießen

Darum bitten wir dich durch Christus, unsern Herrn. Amen


Pfarrer Stefan Mai

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