Eine teuflische Versuchung

Predigt zum 14. Sonntag im Jahreskreis (Lk 10, 1-12.17-20)

Der Teufel, so erzählt eine Geschichte, hatte Spaß daran, alles zu verwirren und durcheinander zu bringen. Er hatte einen Spiegel gemacht, an dem er seine höllische Freude hatte. Dieser Spiegel zeigte alles Gute und Schöne ganz klein und zusammengeschrumpft. Was aber schlecht war, trat übergroß ins Bild. Überall hielt er diesen Spiegel hin, und es gab kein Land und keine Menschen mehr, die nicht verzerrt darin zu sehen waren.
Eines Tages musste der Böse über das Ekelhafte, das er im Spiegel sehen konnte, so lachen, dass er ihm aus den Händen rutschte und zerbrach – in Tausende, ja Millionen Teile. Und ein Sturm kam auf und trieb die Splitter über die ganze Erde. Manche Splitter waren so klein wie ein Sandkorn. Sie saßen vielen Menschen in den Augen. Diese Menschen sahen an anderen alles verkehrt. Sie sahen nur das, was schlecht war. Andere Scherben kamen in Brillen. Und wenn die Leute die Brillen aufsetzten, dann war es für sie schwer, richtig hin zu sehen und gerecht zu urteilen. Manche Spiegelscherben waren so groß, dass sie als Fensterscheiben benutzt werden konnten. Und die Menschen entdeckten beim Hinausschauen nur das Hässliche an ihren Nachbarn.

Ja, es ist schon eine teuflische Versuchung, Menschen um sich herum mit dieser Negativbrille zu betrachten. Es ist eine teuflische Versuchung, Menschen nicht unvoreingenommen zu begegnen, sondern mit tausend Kritikfiltern, durch die sie erst hindurchgedrückt werden. Und am Ende bleibt dann oft ein verzerrtes Feindbild übrig. Man wird immer vorsichtiger und traut am Ende nur noch wenigen über den Weg.

An Jesus fasziniert mich immer seine Unvoreingenommenheit in der Begegnung mit Menschen. Wo andere sagen, vor der nimm dich in Acht, mit der gibt er sich ab. Für die interessiert er sich. Wo andere einem aus den Weg gehen und als unzumutbar einstufen, zu dem geht er hin. Wo andere einen Bogen um sein Haus machen, bei dem lädt er sich ein und wird sein Zechkumpan.

Ich frage mich, woher hat er nur diese Courage, woher diese Offenheit? Er war doch kein Träumer. Er wusste doch, dass guter Wille nicht einfach Gutes bewirkt, er wusste doch, dass das „gut Meinen“ bei anderen oft nicht ankommt. Deswegen bereitet er seine Jünger bei der Aussendung darauf vor: Macht euch darauf gefasst, Menschen können euch abblitzen lassen, euch übel mitspielen oder sich gar als „Wölfe“ entpuppen. Aber woher hat er nur dieses unverschämte Vertrauen in das Gute, woher diese Augen, auch noch im größten Halunken das Gute zu sehen?

Die Antwort finden wir im heutigen Evangelium. Da spricht Jesus von einer Schlüsselerfahrung seines Lebens. Er sagt: „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen.“ Irgendwie muss ihn in einer bestimmten Stunde seines Lebens die Überzeugung durchzuckt haben: Das Böse, mag es noch so mächtig, so teuflisch, so verführerisch sein. Auf Dauer hat es keine Chance. Es hat abgewirtschaftet, es ist k.o. geschlagen Gott behält das Heft in der Hand. Gott hat das letzte Wort. An ihm wird sich das Böse die Zähne ausbeißen. Und mit dieser Zuversicht möchte er seine Jünger anstecken. Und er ist davon überzeugt: Mit dieser Überzeugung im Bauch können Wunder geschehen.

Liebe Leser, wir feiern heute in der Diözese Würzburg das Fest der Frankenapostel Kilian, Kolonat und Totnan. Was mich an ihnen fasziniert ist nicht in erster Linie ihr Wagemut, ist nicht ihr Martyrium. Was ich an ihnen faszinierend finde, ist genau diese positive Welt- und Menschensicht Jesu, mit der sie ihre Mission im Frankenland begannen. In der Legende heißt es: Als der heilige Kilian nach Würzburg kam, die Stadt und ihre Bewohner sah, sagte er zu seinen Gefährten: „Brüder, ihr seht den herrlichen Ort und die uns angenehmen Menschen, mögen sie auch im Irrtum befangen sein. Lasst uns nach Rom gehen und die Stufen der heiligen Apostel besuchen und uns dem seligen Papst Johannes vorstellen. Und wenn es Gottes Wille ist und wir vom Apostolischen Stuhl die Erlaubnis erhalten, wollen wir mit seiner Zustimmung wieder zurückkehren und vertrauensvoll den Menschen hier den Namen unseres Herrn Jesus Christus verkündigen.“


Pfarrer Stefan Mai

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