Vater – Fehlanzeige

Predigt zum Dreifaltigkeitsfest 2007 (Lesung Spr 8,22-31)

Dass Gott drei-einig ist, ist eine Kernaussage des christlichen Glaubens. Mit jedem Kreuzzeichen, mit jedem Segen am Ende des Gottesdienstes, mit jedem Glaubensbekenntnis greifen wir die Vorstellung des dreifaltigen Gottes auf. Das ist für uns ganz selbstverständlich. Aber wenn wir näher über dieses Glaubensgeheimnis nachdenken, kommen wir schnell ins Stottern oder gar ins Schleudern. Wie soll das zu denken sein: Drei und doch einer. Drei, nicht nur einer. Was sagt das über Gott?

Wir kennen sie, die bekannten Darstellungen der Dreifaltigkeit, auf denen sich Gott Vater vom Sohn durch ein etwas älteres Gesicht und durch die Bartlänge unterscheidet und über oder zwischen den beiden die Taube flattert. Und wie oft haben wir uns schon erklären lassen, dass dieses Bild der Taube die enge Verbindung zwischen Gott und Jesus darstellt. Aber irgendwie geht es nicht in den Kopf und nicht zu Herzen.

In einer Kirche in Oberbayern befindet sich ein Dreifaltigkeitsfresko aus dem 12. Jahrhundert. Da staune ich. Da wird Gott Vater und Gott Sohn dargestellt. Aber was tun sie? Sie umarmen eine Frau, die zwischen ihnen platziert ist. Der hl. Geist wird als weibliche Person dargestellt. Diese Vorstellung hat biblische Wurzeln in der Figur von Frau Weisheit. In der Lesung wurde sie uns heute vorgestellt. Von Anfang an war sie die zweite Hälfte Gottes. Frau Weisheit spielt vor Gott. Er hat seine wahre Freude an ihrer Schönheit, sie animiert ihn zur Schöpfung und zur Freude am Menschen. Anscheinend war schon im strengen jüdischen Monotheismus Theologen die Gefahr bewusst, dass Gott allzu sehr männlich gedacht wird und ihm nur männliche Attribute zugeschrieben werden. Deshalb wagten sie es, durch die Figur von Frau Weisheit die weiblichen Züge Gottes zu betonen und deutlich zu machen: Gott ist auf kein menschliches Geschlecht festlegbar.
Momentan liegt diese theologische Linie voll im Trend: Die weibliche, mütterliche Seite an Gott zu betonen, die weiblichen und mütterlichen Attribute herauszustellen. Diese theologische Korrektur hat sogar Eingang bis in ein von Rom approbiertes Hochgebet gefunden, wo Gott als Vater und Mutter betitelt wird. Diese Veränderung in der Vorstellung des Gottesbildes hat einen gewissen Höhepunkt in der neuesten Bibelübersetzung „Bibel in gerechter Sprache“ gefunden. Konsequent wird in dieser Übersetzung von Gott immer als Er und Sie gesprochen, als Vater und Mutter, als Herr und Herrin. Jedes männliche Gottes-Attribut wir auch feminisiert: der Eine ist zugleich auch die Eine, der Lebendige die Lebendige, der Heilige die Heilige, der Ewige die Ewige. Ständig wird dem Bibelleser dadurch in Erinnerung gerufen: Vergiss nicht, Gott hat auch eine weibliche Seite. Diese zu vergessen, wird Gott und dem Menschen nicht gerecht.

So wichtig mir diese Entwicklung erscheint, die fraulichen Züge im Gottesbild herauszustellen und dadurch einer Geschlechtergerechtigkeit besser zu entsprechen, so scheint mir, wir übersehen zur Zeit eine neue gesellschaftliche Entwicklung: Wir haben keine Väter mehr. Die Männer tun sich immer schwerer, ihre Männer- und Vater-Rolle zu definieren. Gegenüber starken Frauenbildern in der heutigen Zeit, müssen Männer ihr Bild, ihre Rolle erst wieder neu finden. Schauen Sie sich doch um: Wie viele Väter fallen in der Erziehung ihrer Kinder total aus, wie viele Ehen scheitern, weil vor allem Männer ihre Rolle im Miteinander nicht finden oder mit ihr nicht mehr zurecht kommen. Die Ernährer-Rolle der Familie, sie hat längst die Frau auch mitübernommen. Chef der Familie zu sein, das ist nicht mit dem Mann-Sein automatisch wie noch vor 50 Jahren vererbt, da müssen schon andere Qualitäten her. In emotionaler und kommunikativer Kompetenz sind Frauen oft stärker. Männer dagegen tun sich bis heute oft schwer, ihren entscheidenden Beitrag für die Organisation des Haushalts oder in der Familienarbeit und Erziehung zu leisten. Allein die Muskelkraft ist nicht mehr entscheidend.

Es hat mich sehr aufhorchen lassen, als der Leiter unserer Hausaufgabenbetreuung, Gerhard Kastner, mir am Freitag erzählte: „Nach Erledigung der Hausaufgaben spielen die Kinder bei uns als liebstes „Familie“. Allerdings hat dies einen Haken. Die Kinder finden meistens für ihr Spiel keinen Vater.“ Die Vaterrolle ist für sie unattraktiv oder nicht definierbar. Kinder können an ihren Vätern anscheinend oft nichts mehr Typisches wahrnehmen. Väter, auch wenn sie in der Familie da sind, werden nicht mehr wahrgenommen. Vielleicht sind wir wirklich eine „vaterlose Gesellschaft“, wie es der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich schon vor vielen Jahren behauptete.

Liebe Leser! Gesellschaftliche Entwicklungen spiegeln sich auch in den Bildern wider, die sich Menschen von Gott machen. Das zeigt mir die Feminisierung und Vermütterlichung des Gottesbildes deutlich. Ich frage heute ganz bewusst einmal provozierend: Könnten vielleicht Aspekte des biblischen Gottesbildes heutigen Männern helfen, über Konturen ihres Mann- und Vater-Seins neu nachzudenken und in ihnen hilfreiche Ansätze für ihre Rolle zu finden?


Pfarrer Stefan Mai

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