Zweimal Pfingsten

Predigt zum Pfingstsonntag 2007 (Apg 2,1-11; Joh 20,19-23)

Wenn Menschen davon erzählen, wo und wie sie tiefe religiöse Erfahrung gemacht haben, dann gibt es keinen Königsweg, keine Einbahnstraße und auch kein Patentrezept. Die Antworten fallen recht unterschiedlich aus, lassen sich aber auf zwei wesentliche Grundlinien reduzieren:
Die einen packt religiöse Ergriffenheit, wenn etwas los ist, wenn sich etwas rührt, wenn auf großen Veranstaltungen wie auf Weltjugendtagen, Wallfahrten, Papstaudienzen oder großen Gottesdiensten Begeisterung aufkommt und überschwappt. Sie spüren Gottes Geist, wenn sie bei fetziger Musik, Farbenpracht und Bewegung bei großen Eventgottesdiensten auf Kirchentagen oder Beifallsstürmen und Benedetto-Rufen bei Papstbesuchen buchstäblich aus dem Häuschen geraten.
Andere spüren religiöse Ergriffenheit, wenn sie sich ein Wort, das sie anspricht, auf der Zunge zergehen und immer wieder durch Kopf und Herz gehen lassen; sie erahnen etwas von Gottes Nähe, wenn sie sich von ruhigen Melodien und Gesängen einfach mittragen lassen, wenn sie ein Bild auf sich wirken lassen; wenn sie auf einem einsamen Berggipfel oder in einer großen Kathedrale tief in sich die Erhabenheit und Größe Gottes erahnen oder die Stille einer Kirche und das Hinaushorchen in die aufwachende Natur am Morgen als ein Klopfzeichen Gottes an ihrer Lebenstür erspüren.
Diese Erkenntnis ist nicht neu. Wir haben es heute in der Lesung und im Evangelium gehört: Da ereignet sich Pfingsten zweimal. Jeweils auf unterschiedliche Art. Einmal mit lautem Getöse und in einem spektakulären Event. Laut geht es da zu. Der Wind brüllt. Es donnert und kracht. Sturm reißt mit und züngelndes Feuer heizt auf und bringt die Stimmung zum Kochen. Quirlig und bunt geht es zu. Buntes Völkergemisch und vielsprachige Rede ertönt. Ein Riesenevent auf einem öffentlichen Platz. Massen laufen da zusammen, geraten in Staunen und in Ekstase. Feierstimmung kommt auf wie bei einem feuchtfröhlichen Gelage. So erzählt es die Pfingstgeschichte aus der Apostelgeschichte.

Ganz anderes ereignet sich Pfingsten im Johannesevangelium. Da spielt sich alles in einem Haus ab. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Hinter verschlossenen Türen, sozusagen in Zimmerlautstärke. Pfingsten ereignet sich nicht knallig, auffällig und dramatisch, sondern durch ruhige und leise Töne: Friede sei mit euch, hören die Jünger in einem privaten Schonraum. Und Menschen, die keinen großen Sturm verkraften können, erfahren die Nähe Jesu in ihrer Mitte durch einen zarten Hauch. „Und er hauchte sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den heiligen Geist.“
Liebe Leser, ich denke, Sie haben gespürt, welcher Pfingsttyp Sie von Ihrem Charakter und Empfinden her sind. Seien Sie sich aber nicht zu sicher, dass nur dies der Weg Gottes sein muss, auf dem er Sie anspricht und berührt. Gott fährt keine Einbahnstraßen und eingespurten Programme. Sein Geist kann uns auch ganz anders erwischen, als wir es uns vorstellen. Pfingsten heißt: Gott ist immer für Überraschungen gut.


Pfarrer Stefan Mai

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