Jesus zu Besuch

Andacht am Weißen Sonntag 2007

Erzählung

Es war einmal ein kleines Herz. Das war warm und lebendig, und es hüpfte und schlug fröhlich vor sich hin. Besonders munter und froh war es, wenn ein anderes Herz zu Besuch kam.
Eines Tages kündigten sich besondere Ereignisse an. Das kleine Herz war ganz aufgeregt. Um es herum gab es allerhand Geschäftigkeit. Unser kleines Herz erfuhr, dass es Besuch bekommen sollte, hohen Besuch: Ein Freund war angekündigt. Erwartungsvoll nahm es alles auf, was um es vorging. Ja, es machte sich sogar ein wenig größer, es war aufmerksamer und wärmer.
Und dann brachte man die Dinge. Das Kind sagte: „Herz, freu dich! Wie schön ist das lange weiße Kleid!“ Und das Herz ließ das Kleid hinein. Es erschrak nur ein wenig, wenn das Kleid zu arg raschelte.
Und das Kind sagte: „Herz, freu dich! Wir machen heute ein großes Festessen, und wir bekommen viele Gäste!“ Das kleine Herz musste ganz heftig klopfen: Es musste das ganze Fest unterbringen. Es wurde eng. Es klopfte schon bis zum Hals hinauf. „Ich bin so aufgeregt!“ klopft das kleine Herz zur Antwort.
„Mach Platz, kleines Herz, es kommt noch mehr“, sagte das Kind, und in das kleine Herz hinein plumpste eine Armbanduhr; sie tickte jetzt mit dem Herzschlag um die Wette.
O Schreck - was ist jetzt passiert? Das Herz klopfte ganz wild. Ein hässlicher Soßenfleck räkelte sich mitten auf dem schönen weißen Kleid. Das kleine Herz schaffte es nicht - es konnte den Fleck nicht wegklopfen. Aber das Fest ging weiter.
„Oh, das ist stark!“ rief das Kind, „kleines Herz, hörst du?“ Und mit lauten Tönen brauste das Kofferradio mitten durch das kleine Herz. Es gab ein Gedrängel. Die Uhr rückte etwas beleidigt beiseite. Zornig tickte sie weiter, und das Herz kam ganz durcheinander. Musste es jetzt auf das Ticken der Uhr klopfen oder auf den Klang des Radios? Es mussten noch mehr Dinge in dem kleinen Herz untergebracht werden; aber das meiste durfte nur noch rasch hereinschauen, dann musste es beiseite treten. Es war einfach kein Platz mehr da: das Buch, das Federballspiel, sie mussten warten. Nur einmal gab es noch eine Veränderung.
„100, 150, 200, 400, 600, 800“, zählte das Kind. Jetzt konnten sich auch die Gäste und der Kuchen nicht mehr im Herzen des Kindes halten; sie wurden von dem Geld einfach beiseitegeschubst - denn das weiß ja schließlich jedes Kind, wie schnell Geld über ein Herz Macht gewinnt. - Still! - Wollte da noch jemand rein? Das kleine Herz fragte: „Wer ist da - brauchst du viel Platz?“
„Ja, ich brauche den ganzen Platz. Ich brauche dich ganz!“
„Na, so was! Wer bist denn du?“, fragte das Herz etwas müde und unwillig, und es klang ein wenig, wie wenn Steine aneinander klappern.
„Ich bin der Besuch. Ich heiße Jesus.“ - Aber das Radio spielte so laut, und die Uhr tickte so heftig, dass das Herz nichts mehr verstehen konnte. Es sagte nur kühl: „Komm rein und setz dich still in die Ecke, aber stör nicht.“
Und Jesus drückte sich in die hinterste Herzensecke, und die Dinge schauten ihn naserümpfend an und dachten: Was will der denn hier?
Und Jesus musste daran denken, dass sie damals in Bethlehem auch keinen Platz für ihn hatten. Und er wartete ...
(Jesus zu Besuch, aus: Willi Hoffsümmer, Kurzgeschichten 3, S.51f)

Predigt

In einer Kunstausstellung Anfang des letzten Jahrhunderts wurde ein Bild gezeigt, auf dem Christus in einem dunklen Garten dargestellt wird. Er hat eine Laterne in der linken Hand. Mit der Rechten klopft er an eine schwer beschlagene Tür. Ein Besucher sprach den Maler spöttisch an: „Ihr Bild ist noch nicht fertig! An der Tür ist noch keine Klinke.“ Der Maler erwiderte: „Dies ist die Tür zum menschlichen Herzen. Sie kann nur von innen geöffnet werden.“

Die Herzenstüren bleiben Jesus oft verschlossen. Das hat Jesus schon während seines Lebens erfahren. Schon bei seiner Geburt war nur draußen im Stall vor den Toren Bethlehems für ihn Platz. Wie oft kam er mit seinen Ideen und Gedanken bei Menschen nicht an. Und draußen vor der Stadt Jerusalem hat man ihn am Ende seines Lebens gekreuzigt.

Aber eines fasziniert mich an diesem Jesus. Er versucht nie auf die gewaltsame Tour bei den Menschen anzukommen. Wie er und seine Jünger auf dem Weg nach Jerusalem in einem Dorf nicht aufgenommen werden und seine hitzköpfigen Jünger am liebsten Feuer und Schwefel auf die Bewohner des Dorfes herabregnen lassen möchten, da weist er sie zurecht und geht einfach weiter. Auch heute tritt Jesus die Türen in die Lebenshäuser der Menschen nicht gewaltsam ein. Er schleicht sich auch nicht hinterlistig durch Fenster ein oder verschafft sich Zugänge durch Nebeneingänge. Nein, er steht vor der Tür meines Herzens, klopft an und wartet, ob ihm aufgemacht wird.

Ich glaube, mit Hilfe des Bildes von Jesus, der vor der Tür ohne Außenklinke steht könnte ihr das Wort der Lesung leicht verstehen: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten und wir werden Mahl halten, ich mit ihm und er mit mir“ (Offb 3,20).
Jede zwei Wochen bringe ich einer 88-jährigen Frau aus unserer Gemeinde nach dem Gottesdienst die Kommunion. Sie wartet schon immer darauf. Das Stehen bereitet ihr schon große Mühe. Aber sie lässt es sich einfach nicht nehmen, zum Kommunionempfang aufzustehen und zuvor ihr Gebet, das sie schon als Kind gelernt hat zu sprechen. Es heißt:
Jesu, Jesu komm zu mir.
O wie sehn ich mich nach dir.
Nichts gibt es auf dieser Welt,
was mein Herz zufrieden stellt.
Jesus, außer du allein!
Deswegen kehr nun bei mir ein.

„Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten und wir werden Mahl halten, ich mit ihm und er mit mir“ (Offb 3,20).

Gebetstexte vor der Monstranz

Text 1 (GL S. 22 )

V: Du Weisheit, die mich erdacht, A: O Gott, ich bete dich an
V: Du Wille, der mich gewollt,
V: Du Macht, die mich geschaffen,
V: Du Gnade, die mich erhoben,
V: Du Stimme, die mich ruft,
V: Du Wort, das zu mir spricht,
V: Du Güte, die mich beschenkt,
V: Du Vorsehung, die mich leitet,
V: Du Barmherzigkeit, die mir vergibt,
V: Du Liebe, die mich umfängt,
V: Du Geist, der mich belebt,
V: Du Ruhe, die mich erfüllt,

Text 2

V: Wenn ich an dich denke A: Bin ich mit dir in Verbindung
V: Wenn ich von dir spreche
V: Wenn ich zu dir bete
V: Wenn ich auf das Kreuz schaue
V: Wenn ich das Kreuzzeichen mache
V: Wenn ich Geschichten von dir lese
V: Wenn ich auf das Evangelium höre
V: Wenn ich eine Kirche besuche
V: Wenn ich dir Lieder singe
V: Wenn ich Menschen Gutes tue
V: Wenn ich den Gottesdienst mitfeiere
V: Wenn ich die Kommunion empfange

Text 3

V: Das sage ich dir besonders heute A: Du bist mein Freund
V: Das möchte ich dir sagen, wenn ich einmal groß bin
V: Das möchte ich im Leben auch zeigen
V: Das sage ich mir, wenn ich durch das Dunkel gehe
V: Das sage ich mir, wenn die Sonne scheint
V: Das sage ich mir, wenn ich froh und glücklich bin
V: Das sage ich mir, wenn ich elend und krank bin
V: Das sage ich mir heute
V: Das sage ich mir morgen
V: Das sage ich mir übermorgen und hoffentlich immer


Pfarrer Stefan Mai

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