Si sunt bonae oves...

Predigt zum 4. Sonntag der Osterzeit (Weltgebetstag für geistliche Berufe)

Wenn heutzutage Pfarrstellen frei werden, dann setzen sich die Pfarrgemeinderäte meist zusammen und überlegen sich: Welche Eigenschaften sollte unser neuer Pfarrer haben und welches Profil sollte ihn auszeichnen, damit er in unsere Gemeinde passt? Und meistens kommt dann ein ideales Mixcoctail heraus, bestehend aus: Glänzende Führungsqualität, geerdete Spiritualität, Verständnis für die Jugendlichen und ein guter Draht zu den Senioren, ein Herz für die Kinder und großes Einfühlungsvermögen für die Familien, Impulsgeber und Spiritual für die Ehrenamtlichen und zugleich unermüdlicher Sucher der Kirchendistanzierten, Gestrauchelten und Außenseiter, eine gute Kondition bei Festen und Feiern und eine stabile Konstitution in der Begleitung von Krisen und Krankheit, eine hervorragende Predigt- und Redegabe und die Kunst echten Zuhörens. Leutselig soll der neue Pfarrer sein und zugleich tief reflektierend, kommunikativ soll er sein, auf Menschen zugehen und ständig daheim anzutreffen sein. Hinter solchen Wunschkatalogen steckt die Sehnsucht: Der Pfarrer als der große Ideengeber, Inspirator, Animator, Organisator, Koordinator und Motor der Pfarrgemeinde. Irgendwie die Hoffnung: Wer vorne dran steht, der soll es richten, der ist ja dafür ausgebildet und hat Zeit dafür.

Vor einer Woche bin ich auf einen Ausspruch des großen Kirchenlehrers und Bischofs Augustinus von Hippo gestoßen. Der hat mich stutzig gemacht. Augustinus behauptet: Si sunt bonae oves sunt boni pastores, nam de ovibus fiunt boni pastores. „Wenn die Schafe gut sind, gibt es auch gute Hirten. Denn von den Schafen kommen die guten Hirten.“ Augustinus denkt von einer anderen Seite her und dreht den Spieß direkt um. Er behauptet provokativ: Nicht die Exzellenz des Pfarrers macht eine gute Gemeinde, sondern die Qualität einer Gemeinde hilft, dass ein Pfarrer auch ein guter Pfarrer sein kann. Augustinus spricht aus der eigenen Erfahrung als Seelsorger einer afrikanischen Stadt. Er weiß, eine Gemeinde hat eine starke Rückwirkung auf ihre Seelsorger, hat einen Einfluss auf deren Lebensgefühl und prägt sie auch ein Stück ihrer Qualität mit.

Hat ein Seelsorger über lange Zeit das Gefühl, seine Worte, um die er ringt, kommen einfach nicht an, verhallen im luftleeren Raum, dann kommt eines Tages die Frage: Warum investierst du so viel Herzblut und Zeit in die Vorbereitung, warum holst du dir die Predigten nicht einfach vom Internet oder aus einer Predigtzeitschrift. Das merkt eh keiner und interessiert keinen. Und wie schnell verliert dann ein Seelsorger an innerer Spannkraft und findet nicht mehr mit seinen Worten die Wege zu den Herzen der Menschen.
Bemühen sich Seelsorger längere Zeit vergebens, mit neuen Ideen Menschen anzustecken, mit neuen Formen von Liturgie die Alltagswelt der Menschen aufzugreifen, dann stehen sie eines Tages vor der Frage: Was nutzt Kreativität, was bringt dein Hin- und Herdenken? Du kannst es doch auch bequemer haben.
Und umgekehrt: Wenn ein Seelsorger, der sich mit Organisation schwer tut, spürt, ich bin von einer Gemeinde getragen, die stempelt mich deswegen nicht als Chaoten ab, sondern trägt mich mit, dem wachsen Kräfte zu und der traut sich mit der Zeit Dinge zu, die er vor Jahren noch für unmöglich gehalten hätte.
Und wie oft kommt es vor, dass ein Seelsorger oder eine Seelsorgerin große Angst vor der dauernden Konfrontation mit Krankheit und Tod hatte, gerade aber auf diesem Feld bei aller Hilflosigkeit die Dankbarkeit der Menschen spürt, sodass er mit der Zeit eine große Ruhe ausstrahlen kann und so an Sicherheit beim Umgang mit Menschen gewinnt.

Liebe Leser, ich glaube: Augustinus hat recht mit seiner Behauptung: Die Beziehung von Seelsorger und Gemeinde ist keine Einbahnstraße. Wenn sie gelingen und fruchtbar sein soll, braucht es eine Wechselwirkung und gegenseitige Bereicherung. Im Sinne des hl. Augustinus am Guthirten-Sonntag den Weltgebetstag für geistliche Berufe feiern heißt meiner Meinung nach deshalb: Nicht nur um geistliche Berufe in den Gemeinden beten, sondern sich auch fragen: Herrscht bei uns ein Klima, dass auch Seelsorger gute Seelsorger sein und werden können?


Pfarrer Stefan Mai

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