„Bärlinale“ und Ostern

2. Sonntag der Osterzeit (thematisch)

Einleitung

Ostergottesdienste im Mittelalter waren richtige Happenings. Da wurden solange Witze erzählt, bis das ganze Kirchenschiff gelacht hat. Da wurde über dem Labyrinth, das die verschlungenen Lebenspfade symbolisierte, Ball gespielt und gehüpft. Hauptsache: Lebensfreude kam auf. Hauptsache: Es konnte gelacht werden.
Wahrscheinlich hätte wir gesagt: Das ist doch kein Ostergottesdienst. Da fehlt doch der nötige Ernst. Aber vielleicht ist es genau umgekehrt. Vielleicht fehlt unseren Gottesdiensten der nötige Schuss Freude am Leben.
Und manchmal frage ich mich: Finden Menschen diese ansteckende Lebensfreude woanders leichter?

Predigt

Die größten Kar- und Ostergottesdienste in Deutschland fanden in diesem Jahr in Berlin statt. Allein am Gründonnerstag und Karfreitag reisten über 75.000 Besucher an. An den Osterfeiertagen waren es rund 125.000 Menschen. Sonderbusse wurden eingesetzt. Ein eigener Kreisverkehr musste eingerichtet werden, damit alle gut sehen konnten. Es gab Gerangel um die besten Plätze. Aber der Ort war keine Kirche. Der Ort war der Bärenfelsen im zoologischen Garten von Berlin. Das Auferstehungswunder: der Knuddeleisbär Knut.
Alle kennen Bär Knut. Von seiner Mutter Tosca verstoßen, wäre er zum Tod verurteilt gewesen. Bärenspezialisten haben auf Grund schlechter Erfahrungen von Aufzuchtbären dazu geraten, Knut einzuschläfern. Aber sein Pfleger Thomas Dörflein setzte alle Kraft ein, um das zu verhindern. Tage und Nächte verbrachte er im Bärenkäfig, um den kleinen Knut mit einer Spezialmilch und mit zerquirltem Katzenfutterbrei zu füttern, mit ihm zu spielen und ihm Mutter zu sein. Und siehe da: Der kleine Knut blieb am Leben, füllt Zeitungen und Fernsehsendungen und erfreut Kinderherzen genauso wie er Erwachsene anrührt. Täglich reisen Zig-Tausende an, um dieses Wunder zu bestaunen.
Liebe Leser, Knut hat geschafft, was eigentlich unsere Ostergottesdienste spüren lassen wollen: Freude am Leben. Glück über geschenktes Leben.
Auch die Ostergottesdienste erzählen: Da war einer zum Tod verurteilt. Aber er wurde gerettet. Alle haben ihn aufgegeben. Aber einer hat sich seiner angenommen.
Man kann über Knut und die vielen begeisterten Knutfans lachen, die Hunderte von Kilometer fahren, um einen kleinen Eisbären zu sehen. Aber Knut bringt hinüber, was viele Ostergottesdienste nicht mehr hinüberbringen. Er steckt Menschen mit neuer Lebensfreude an, wenn er herumtollt, sich im Sand wälzt, Purzelbäume schlägt und im Wasserbecken einen Bauchplatscher nach dem anderen macht. Sein Spieltrieb macht einem selbst Lust aufs Leben. Er vermittelt die Zuversicht: Auch gefährdetes Leben kommt durch. Und er sagt uns: Leben, gutes Leben, verdankt sich immer einem anderen.


Pfarrer Stefan Mai

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