Entschlossen – Einführung zur Palmprozession

„Und er heftete sein Angesicht auf Jerusalem“ (Lk 9,51)

Mit diesen Worten charakterisiert der Evangelist Lukas schon mitten in seinem Evangelium die entschlossene Haltung Jesu, als er das Gebiet von Galiläa verlässt und nach Jerusalem hinaufgeht. Er weiß genau, was auf ihn zukommt in Jerusalem. Jerusalem ist der Ort des Leidens. Trotzdem geht er im freien Entschluss dorthin.

Jesus hat sein Jerusalem, wo es heißt: leiden.
Aber auch jeder von uns hat einmal sein „Jerusalem“.
Irgendwann kommt jeder an den Ort seines Leidens.
In das „Jerusalem“ der Krankheit, des Herzinfarkts, der Krise einer Beziehung, der erlebten Sinnlosigkeit, des inneren Ausgebranntseins, des einsamen Alterns, des Sterbens.

Irgendwann kommt jeder in sein Jerusalem, mit einer dumpfen Vorahnung, völlig überrascht, verdrängt oder auch gefasst wie dieser Jesus.

Wir können heute und in dieser Woche nur darum beten. Wenn ich auf mein Jerusalem zugehen muss, dass ich gefasst auf den Ort meines Leidens zugehen darf, dass ich mein Jerusalem als eine notwendige Etappe meines Lebens annehme und mir ehrlich sagen darf: Da geht noch einer mit. Er führt mich zwar nicht am Leid vorbei, aber begleitet mich durch das Leid hindurch – wie IHN.

Meditative Einschübe zur Lukaspassion

Vor der Passion

In der Geburtsgeschichte des Lukasevangeliums wird die Geburt Jesu mit den Worten verkündet: „Heute ist euch der Retter, geboren.“ Und auf Schritt und Tritt begegnet uns im Lukasevangelium dieser Retter mit seiner heilenden Art. Wie in keinem anderen Evangelium trägt Jesus die Züge eines menschenfreundlichen Gottes, in keinem anderen Evangelium zeigt Jesus so große Sensibilität für heillose Situationen von Menschen, so großes Verständnis für ihre Schwächen und Sehnsucht nach Heil. Und selbst in den Stunden der Passion, wo Jesus selbst ohnmächtig wird, hält er diese menschenfreundliche Züge durch und wirkt auch noch als leidender und sterbender heilend. Unter diesem Aspekt wollen wir einmal in diesem Jahr die Passion des Evangelisten Lukas betrachten.

Vor Lk 22,45

Die drei Vorzeigejünger versagen kläglich am Ölberg. Sie merken nicht, wie ihr Freund vor Angst schwitzt. Sie schlafen.
Aber das Lukasevangelium nimmt diese drei in Schutz: Es war nicht Gleichgültigkeit, auch nicht Interesselosigkeit, nicht einmal Müdigkeit.
Nein, Kummer und Traurigkeit ließ sie schlafen, so behauptet der Evangelist Lukas und nimmt sie in Schutz. Gnädiger Schlaf schloss ihnen in der Traurigkeit die Augen und ließ sie wenigstens für ein paar Minuten die grausame Wirklichkeit vergessen.
Wir alle wissen, welch ein Qual es ist, wenn du mitansehen musst, wie ein Menschen leiden muss und du kannst ihm nicht helfen. Wie gerne möchtest du da vergessen. Wie gut, wenn du im Schlaf vergessen kannst.

Vor 23,32

Wie oft hat Jesus während des Evangeliums von Verzeihen und Barmherzigkeit erzählt und in Begegnungen Menschen Vergebung erfahren lassen. Das Gleichnis vom barmherzigen Vater. Die Begegnung mit der Sünderin. Aber diese Grundhaltung der Vergebung hält er durch bis an sein Lebensende. Jesus vergibt seinen Peinigern und spricht dem reuigen Schächer Mut zu.
Von Vergebung reden mit wohlgesetzten Worten ist leicht.
Aber wenn sie dich quälen und dir dabei hämisch ins Gesicht grinsen, wenn sie dich fertig machen, dann vergeben:
Wer das tut, der meint es ernst, todernst mit der Vergebung.
An dessen Vergebung kannst du glauben.

Vor 23,44

Die heilende Nähe Jesu, seine wohltuende Ausstrahlung hat im Lukasevangelium seinen Grund. Lukas schildert Jesu immer als den großen Beter. Im Gebet, in der Nähe zu Gott holt er sich die Kraft. Und am Ende seins Lebens darf Jesus selbst die heilende Kraft des Gebetes erfahren. Matthäus und Markus erzählen, dass Jesus mit einer offenen Frage und einem Schrei stirbt. Im Lukasevangelium kommt Jesus der Verlassenheitsschrei nicht über die Lippen. Nichts von der furchtbaren Verzweiflung: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Im Lukasevangelium stirbt Jesus mit dem Abendgebet seines Volkes auf den Lippen: „Vater in deine Hände empfehle ich meinen Geist.“ Und haucht friedlich nach diesen Wirten den Geist aus.

Eines jedoch ist klar: Was ein Leben lang tragen und bis ans Ende tragen soll, das musst du schon lange eingeübt und praktiziert haben.

(anregend für die Meditationseinschübe waren für mich die Gedanken von Heribert Arens, Gott, Du bist so menschlich, S. 94-126)


Pfarrer Stefan Mai

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