Über Geld spricht man nicht

Predigt zum 6. Sonntag im Jahreskreis (Lk 6,17.20-26)

Herrmann-Josef Venetz, ein bekannter Schweizer Exeget, erzählte einmal, wie er von einem befreundeten Pfarrer eingeladen wurde, um an einem Sonntag in dessen Pfarrei zu predigen. Er fragte seinen Freund, worüber er denn predigen solle. „Du kannst über alles predigen, nur nicht über das Evangelium“, war die Antwort. Es war das Evangelium vom reichen Kornbauern an der Reihe, der den Kragen nicht voll genug kriegen kann und den Jesus angesichts des Todes, wo aller Reichtum keinen Nutzen mehr hat, als dummen Narren abkanzelt. Und am Ende des Gleichnisses erteilt er den Zuhörern die aufrüttelnde Lektion: „So geht es jedem, der nur für sich Schätze sammelt, aber vor Gott nicht reich ist!“
Dem Bibelwissenschaftler war nicht ganz klar, warum er nicht über dieses Evangelium predigen solle. Der Pfarrer erklärte es ihm: „Weißt du, die Leute ertragen es einfach nicht bei uns in der Schweiz, wenn man über Geld und Reichtum spricht.“ Und er äußerte die Vermutung: „Vielleicht regt sich bei manchen von ihnen das schlechte Gewissen.“

Gewiss, man kann so ganz allgemein etwas sagen über Reichtum und Geld. Man kann z. B. sagen: „Geld allein macht nicht glücklich.“ Man kann sagen: „Deutschland ist eines der reichsten Länder.“ Man kann loslegen über die unverschämten Abfindungssummen von gejassten Spitzenmanagern. Man kann sich darüber aufregen, dass das reichste Fünftel der Weltbevölkerung über mehr als 80% des Welteinkommens verfügt. Man kann noch bei den Gottesdienstbesuchern punkten, wenn man darauf hinweist, dass bei einer zusätzlichen Besteuerung von 1% auf das Vermögen der 200 reichsten Menschen der Welt die Schulbildung für alle Kinder weltweit gesichert werden könnte. Aber allzu sehr sich in das Thema Geld einmischen, das mögen die Predigthörer nicht. „Über Geld spricht man nicht, Geld hat man.“ So ist es doch: Wenn mich jemand fragt, ob ich reich sei, dann betrachte ich die Frage nicht nur als unangenehm, sondern geradezu als unverschämt, weil das niemand etwas angeht. Ganz abgesehen davon würde ich natürlich eine solche Frage glatt verneinen. Reich? Ich? Nur weil ich ein gutes Gehalt beziehe oder eine anständige Pension beziehe und mir einiges leisten kann? Ich kenne Leute, die gut und gern x-mal so viel verdienen wie ich und noch viel mehr auf der Kante haben.

Und wehe, ein Prediger würde es wagen, unsere Spendenbereitschaft, auf die wir uns ziemlich etwas einbilden, einmal genauer unter die Lupe zu nehmen und das, was wir unter Großzügigkeit verstehen, als simple Verbürgerlichung zu deklarieren – zwar nett und schön anzusehen, aber im Verhältnis zu den Armen der Welt als kleinliche Wiedergutmachung eines schlechten Gewissens oder als abgründige Verlogenheit unserer westlichen Gesellschaft.

Wir haben es heute gehört. Der Evangelist Lukas traut sich das. Er bläst mit seiner Scheltrede den Reichen in seiner Gemeinde den Marsch und beruft sich dabei auf Jesus: „Weh euch, die ihr reich seid, denn ihr habt keinen Trost zu erwarten. Weh euch, die ihr jetzt satt seid; denn ihr werdet hungern!“ Dieser Evangelist wagt es, damit aufzuhören, gegenüber den Reichen diplomatisch zu taktieren in der Hoffnung auf ein paar Spendengelder für die Armen. Lukas wagt diese starken Worte, weil er weiß, dass Reichtum den Blick auf die Welt verzerrt, weil er dazu verführt, außer dem Geld nicht mehr viel anderes zu sehen: weder das Elend der Hungernden noch die Ausweglosigkeit vieler Arbeitslosen, weder das Joch der Asylanten noch die Leere derer, die in unserem ausgefuchstem Wirtschaftssystem das Nachgucken haben.

Mit Lukas bin ich überzeugt, viele Entscheidungen in der Politik, viele Schwerpunkte in unseren kirchlichen Gemeinden und unser eigener Lebensstil würden anders ausschauen, wenn wir mit den Augen und Ohren der Armen die Vorgänge in unserer Gesellschaft wahrnehmen würden. Und ganz sicher: Die Gesinnung Jesu käme viel stärker zum Zuge.


Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de