Was bin ich denn schon?

Predigt zum 5. Sonntag Im Jahreskreis (Lk 5,1-11)

Achtzehn Perlen haben sie bei jedem Treff in der Hand, unsere 16- und 17-jährigen Jugendlichen, die sich auf die Firmung vorbereiten. Jede Perle an der Perlschnur hat ihre eigene Bedeutung. Sie steht für eine Lebensfrage, einen Gedanken, ein Gebet. Da gibt es die Perlen der Stille, die Ich-Perle, die Perlen der Liebe, die Geheimnisperlen, die Wüstenperle, die Perle der Gelassenheit, die Perle der Nacht, die Gottesperle. Sie regen dazu an, über das Leben nachzudenken, christliche Tradition neu zu entdecken und Glaube und Leben miteinander in Beziehung zu bringen.

In den letzten beiden Treffen beschäftigten wir uns mit der Ich- Perle und den Perlen der Liebe. Die Ich-Perle in der Hand, schauten die Jugendlichen eine Zeit lang in einem Spiegel ihr Gesicht an und dachten darüber nach, wie sie sich selbst sehen, was sie an sich selbst gut finden oder an sich auszusetzen haben. Und sie fragten sich, ob sie sich eigentlich mögen, so wie sie sind.
Die Liebesperlen in der Hand, stellten sie sich bewusst einen Menschen vor Augen, zu dem sie Vertrauen haben, in den sie verliebt sind oder den sie sehr schätzen. Und sie schrieben ihm oder ihr einen Brief. Sie schrieben diesem Menschen, wofür sie ihm einmal danken möchten, was sie an ihm bewundern und was er ihnen bedeutet. Einige hatten sogar den Mut, den Brief weiterzugeben.
Als ich sie fragte, wie denn der Brief angekommen sei, meinte eine Jugendliche: „Mein Freund war völlig überrascht, was ich an ihm alles gut finde, wie ich ihn sehe. Und das hat unsere Beziehung zueinander intensiver werden lassen.“
Doch sich selbst sahen die Jugendlichen nicht so positiv: nicht gut genug, nicht schön genug. So vieles, was es auszusetzen gilt. „Ich schaffe es nicht, den eigenen Erwartungen an mich gerecht zu werden.“

Dieses Muster, des Sich-Beurteilens und des Sich-Verurteilens steckt tief in uns Menschen. Sich selbst klein machen, sich einreden: ich kann doch nichts. Sich selbst schlechte Zensuren geben, sich minderwertig vorkommen. Diesem Muster sind wir auch heute in der Lesung und im Evangelium begegnet. „Weh mir, ich bin verloren. Ich bin ein Mann mit unreinen Lippen“, wirft sich Jesaja vor und schrickt vor seinem Auftrag zurück. „Herr geh weg von mir, ich bin ein Sünder“, das ist die Reaktion des Petrus, als er spürt, dass er bei all seinem beruflichen Können als Fischer diesem Jesus das Wasser nicht reichen kann. Er spürt seine Durchschnittlichkeit, sein Ungenügen, seine Ohnmacht und macht sich klein, geht in die Knie. Und zugleich fordert er Jesus auf, von ihm wegzugehen, obwohl er doch von ihm so fasziniert ist, wie von keinem anderen Menschen. Von ihm her erlebt er seine Minderwertigkeit und erkennt schmerzlich, wie klein und unbedeutend er ist. Paradox: Eigentlich hat er die Sehnsucht, bei diesem faszinierenden Menschen bleiben zu dürfen und zugleich hat er Angst, vor diesem Jesus nicht bestehen z können.
Doch Jesus traut diesem Petrus etwas zu. Er heilt ihn von diesem Minderwertigkeitskomplex nicht nur durch seine Zusage: „Fürchte dich nicht!“ Er glaubt an diesen Menschen, der unter seiner Durchschnittlichkeit leidet und spricht ihm einen Auftrag zu: „Von jetzt an wirst du Menschen fangen!“

Was dem Petrus geholfen hat, ist für jeden Menschen eine Hilfe. Wenn jemand Angst hat, er würde die Aufgabe nicht erfüllen, die ihm gestellt wird, oder er würde nicht in das Team passen, weil er nicht die entsprechende Ausbildung hat, dann brauchen wir einen Menschen, der an uns glaubt. Weil der andere an uns glaubt, beginnen auch wir langsam an uns selbst zu glauben, vergessen alle Durchschnittlichkeit und Minderwertigkeit, bringen uns ein, packen an und wachsen durch das Vertrauen und an der Aufgabe.

Um sich selbst im richtigen Licht und Lot zu sehen, genügt es nicht, dauernd um sich selbst zu kreisen. Nein, da ist es wichtig zu sehen und zu hören, was andere an mir groß finden und mit welcher Hoffnung sie auf mich schauen. Und vielleicht ist es richtig, was der Alkoholiker, der keine Achtung vor sich selbst mehr hat, in einer Filmszene in einer verrauchten Kneipe seinem Kumpel sagt: „Es kommt im Leben nicht so sehr darauf an, ob du an Gott glaubst. Es kommt darauf an, dass Gott an dich glaubt!“


Pfarrer Stefan Mai

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