Zwei Heilige als Lebensbegleiter

Predigt zum 10jährigen Priesterjubiläum von Martin Wissel

Zwei Heilige gehören zur Biographie von Pfarrer Martin Wissel: Sein Namenspatron, der hl. Martin, und der Patron seines Weihetages am 25. Januar, der hl. Paulus, dessen Bekehrung an diesem Tag gefeiert wird.
Alle wissen, wie der Namenspatron Martin dargestellt wird: Er sitzt hoch zu Ross mit langem roten Mantel, den römischen Helm auf dem Kopf und seine Hand am Soldatenschwert.
Auch der hl. Paulus, der Tagesheilige seiner Priesterweihe sitzt bei seinem Ritt nach Damaskus hoch zu Ross.
Dieser Zug, hoch zu Ross, passt ganz und gar nicht zu Eurem Pfarrer. Man stelle sich nur vor: Martin Wissel in seiner Leibesfülle auf einem Gaul. Armer Gaul! Da müsste schon ein stabiles Kaltblut her. Und zudem denke ich, würde Ihr Pfarrer keine gute Figur hoch zu Ross machen.
Und auch im übertragenen Sinn passt dieses „hoch zu Ross“ nicht zu ihm. Er ist lieber unter den Menschen als abgehoben, hoch droben zu thronen. Er redet viel lieber vis-a-vis, anstatt von oben nach unten.
Und dazu braucht er keine Bekehrung, wie sie von seinen beiden Patronen erzählt wird: Der hohe römische Offizier Martin steigt nach seiner Begegnung mit dem Bettler vom hohen Ross, wirft seinen Militärdienst hin, wird Christ und Bischof – und sträubt sich dann, als Bischof auf einem Thron Platz zu nehmen. Er sitzt in der Bischofskathedrale lieber auf einem einfachen Melkschemel der Bauern.
Und euer Pfarrer musste kein umstürzendes Erlebnis haben wie der große Paulus, der förmlich vom Pferd geworfen wird. Der als aggressiver Kämpfer ausgeritten ist, und sich dann blind vertrauend und hilflos nach Damaskus führen lassen muss.
Nein, Eurem Pfarrer können diese Bekehrungen erspart bleiben. Sein Platz und seine Stärke ist schon immer, unter den Leuten zu sein. Seine Devise ist nicht Kampf und Aggression, sondern: leben und leben lassen. Was die großen Heiligen Martin und Paulus erst durch eine Bekehrung lernen mussten, ist ihm einfach in die Wiege gelegt.
Aber keine Angst, Martin. Heilig sprechen wollen wir Dich noch nicht. Die beiden Heiligen Deiner Lebensgeschichte wollen Dir auch etwas Wichtiges zu bedenken geben.
Der hl. Martin sagt dir: Prima, Martin, du bist ein Mann des einfachen Volkes, bist unter den Leuten, kennst ihre Fragen, bist in vielen Häusern zu Gast, hast eine ungeheure Kondition, Vereinsfeste zu besuchen und mitzufeiern, hast keine Kontaktscheu, bist ganz nah an den Menschen dran. Aber der hl. Martin fragt dich zugleich: Geht dir auch nach, was du da an Lebensfragen indirekt hörst, was dir an Lebensnot indirekt begegnet. Nimmst du dir genügend Zeit, da drüber nachzudenken und zu grübeln. Geht es dir wie dem hl. Martin, dass du mitten im Schlaf aufwachst und dir die Gesichter durch den Kopf gehen, dass dir hinter dem müden Lächeln die verzweifelte Not einer Mutter aufgeht, dass du erkennst: Hinter dem sarkastischem Witz steckt eine tiefe Verletzung. Überlegst du dir dann, wie du in diese Dimensionen vorstoßen kannst, welche Gelegenheit du suchen musst, damit diese verdeckte Not ausgesprochen werden kann – oder ist dir das Fest und der Alltagsplausch dann doch lieber?
Und ich glaube, der hl. Paulus sagt dir: Prima, dass du alles so locker, ruhig-gelassen entgegennehmen kannst, dass dich scheinbar nichts so schnell aus der Ruhe bringt. Aber, mein lieber Martin, glaube mir: Der Wind kann sich schnell drehen in unserer Gesellschaft, und der scharfe Gegenwind zur Kirche könnte in ein paar Jahres auch in den Heiligen Ländern zu spüren sein. Dann könnte es sein, dass es darauf ankommt, dass du als Theologe Farbe bekennst, als Reibefläche in der Auseinandersetzung geistiger Strömungen herhalten und mit Eifer Position beziehen musst, die nicht von allen bejubelt werden. Dann wird es darauf ankommen, in der Art eines Paulus nach immer neuen Wegen zu suchen, wie die Botschaft Jesu die Herzen von Menschen trifft, die nicht mit der Kirche groß geworden sind und keine Gebete und Gottesdienste mehr kennen.
Lieber Martin, ich wünsche Dir heute von Herzen, dass Du dich in deinen Gemeinden weiterhin so wohl fühlen kannst und dich durch die Begegnungen mit Menschen so reich beschenkt fühlst wie bisher. Ich wünsche Dir aber auch, dass die beiden Heiligen, Martin und Paulus zugleich ein kritisches Korrektiv für dich sind, an denen Du Dich reiben kannst.


Pfarrer Stefan Mai

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