Mit Papierkorb und Sieb Silvester feiern

Silvester 2006 (Lk 2,46–52: „Maria bewahrte das alles in ihrem Herzen“)

Welcher Typ sind Sie? Wenn Post ins Haus flattert, öffnen Sie dann fein säuberlich jeden Umschlag, auch wenn er schon außen nach Werbung riecht? Oder landen bei Ihnen solche Briefe gleich im Papierkorb?
Wie gehen Sie mit der Zeitung um? Stapeln Sie die Zeitungen auf der Eckbank, holen den Stapel am Wochenende nochmals hervor, blättern die einzelnen Ausgaben durch, schneiden wichtige Artikel aus und überlegen sich: Wo kann ich das am besten ablegen? Oder sind Sie ein Typ, der am Morgen in 10 Minuten, in der einen Hand die Kaffeetasse in der anderen die Zeitung, die Neuigkeiten schnell überfliegt – und dann die Zeitung sofort wegwirft. Denn: Was am Morgen nicht gelesen wird, macht mich am Abend nicht mehr heiß.
Wie gehen Sie mit Begegnungen und Erlebnissen um? Sind Sie ein Typ, dem der Tag am Abend noch lange nachgeht – oder einer, der sich sagt: Vorbei ist vorbei?
Führen Sie Tagebuch über alles, was passiert? Schreiben Sie auf, was Sie erlebt haben, wie viel Grad es draußen hatte, was Sie eingekauft und ausgegeben haben? Führen Sie ein geistiges Rabattmarkenheftchen, in das jedes krumme und zweideutige Wort von anderen fein säuberlich eingeklebt wird, um es bei nächster Gelegenheit zurückzuzahlen?
Oder sind Sie ein Typ, bei dem nichts haften bleibt; der nach dem Motto lebt: zum einen Ohr rein, zum anderen raus?
Beide Typen haben ihre Chancen und ihre Gefahr, der ordentliche und penible Sammler genauso gut wie der leichtfüßige und schnelllebige Wegwerfer. Und wie immer liegt das Gute in der Mitte. Deshalb habe ich Ihnen heute am Silvesterabend zwei Gegenstände mitgebracht: einen Papierkorb und ein Sieb ...
Sie haben wahrscheinlich gemerkt, welcher Typ Sie sind – und welchen der beiden Gegenstände Sie heute besonders nötig hätten.
Für alle, die in der Gefahr stehen, zu viel zu horten und dann von der Masse erdrückt zu werden, die sich ständig belastet fühlen und dann nicht mehr durchblicken, für sie ist ein geistiger Papierkorb wichtig: Ballast loslassen, Lasten abwerfen, Fünfe mal gerade sein lassen, nicht im Voraus schon wieder seufzen, was alles an Schwerem auf einen zukommt, all das in den geistigen Papierkorb werfen.
Für alle dagegen, die in der Gefahr stehen, Tageseindrücke und Worte an sich vorbeirauschen zu lassen, freundlich zu nicken und sich dabei zu denken: ist schon abgehakt, für sie ist ein geistiges Sieb wichtig: Was von den vielen Terminen und Eindrücken verdient aufbewahrt und nicht vergessen zu werden?
Liebe Leser, wir werden ein wenig Musik laufen lassen. Dabei tragen Ministranten einen Papierkorb und ein Sieb an Ihren Bankreihen vorbei. Sie lassen das Jahr vor Ihren geistigen Augen Revue passieren, schauen auf Papierkorb und Sieb – und fragen sich: Was sollte ich heute wegwerfen, hinter mir lassen? Womit sollte ich mich im Neuen Jahr nicht mehr belasten?
Und: Was sind die wichtigen Dinge gewesen, die Goldkörner, die ich in diesem Jahr gefunden habe, die mein Leben bereichern und die ich aufbewahren möchte?

Ministranten gehen langsam durch die Gänge und zeigen Papierkorb und Sieb

Lied: GL 846,1–2


Pfarrer Stefan Mai

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