Wo der Mensch in Ordnung ist …

Christmette 2006

Einleitung

Mir gefällt, was die Schauspielerin Iris Berben zum Thema Weihnachten geschrieben hat:
Mir gefallen Menschen, die belastbar sind, die etwas aushalten, die etwas durchhalten. Künstler, Politiker, Bauarbeiter, Großmütter. Ich mag auch Dinge, die etwas aushalten. Eine Reisetasche, die nicht schon nach drei Tagen Paris ihre Nähte aufgibt, sondern auch im Hochland von Peru nach Jahren noch eine gute Figur macht.
Und, mir gefällt Weihnachten.
Seit über 2000 Jahren hält Weihnachten aus. Und durch. Darf ich mal die Belastungen aufzählen?
Wütende und missmutige Menschen, die durch Straßen irren, weil sie noch keine Geschenke haben. Streitsüchtige Schwiegermütter, die sich in den Teig der Vanillekipferln einmischen. Rechthaberische Ehemänner, die auf der Suche nach dem Christbaumständer den Sinn des Lebens in Frage stellen. Pubertierende Töchter, die nicht auf Befehl schenken wollen und die ständig auf die Uhr schauen, weil sie nur in der Disco ihre Erlösung finden.
Weihnachten hält schlechten Geschmack aus. Unfassbar, was in diesen wenigen Stunden alles ausgepackt wird – aus unfassbar geschmacklosem Papier …
Weihnachten hat den höchsten Cholesterinspiegel der Welt. Mediziner würden der „heiligen Weihnacht“ nur ein sehr kurzes Dasein prognostizieren, bei den Mengen von Gänsen und Würsten. Fett in allen Pfannen, Ofenrohren, Töpfen und Schüsseln, Risiko auf jedem Tisch …
Alle Jahre wieder: Wie viele Witze muss Weihnachten ertragen, wie viel Protest, Streit und Frust, seelische Zusammenbrüche und die traditionelle Klage aus dem Einzelhandel …
Weihnachten ist unerschütterlich.
Ich kann mir das Jahr ohne Weihnachten gar nicht vorstellen. Weihnachten hilft, die Unberechenbarkeit des Lebens auszuhalten. Auf irgendetwas muss man sich doch verlassen können.“
Liebe Christmettenbesucher, ich würde sagen: Auf irgendjemanden muss man sich doch verlassen können. Deswegen feiern wir Weihnachten.

Mettenpsalm: „Heute ist uns Christus geboren“

Predigt

Schlechte Stimmung an Weihnachten. Der Vater will seine Ruhe, die Mutter hat die Schnauze vom Kochen voll, die Kinder langweilen sich zu Tode und kippeln andauern miteinander. Der Kleine kommt zu seinem Vater, der auf dem Sofa liegt, stupst ihn an und sagt: Papa, spiel mit mir! Doch der Vater denkt sich: Lass mir bloß meine Ruhe. Aber da kommt ihm die rettende Idee: Da war doch neulich in der Illustrierten eine exakte Weltraumaufnahme abgebildet, minütiös bis in die kleinsten Kleinigkeiten hinein photographiert. Er rappelt sich von seinem Sofa hoch, sucht die Zeitschrift und reißt das Blatt heraus. „Ich habe eine gute Idee“, meint er. „Du kriegst jetzt von mir ein Puzzle“. Er zerschnipselt das Weltraumphoto in tausend Einzelteile, gibt es dem Kleinen und meint: „Jetzt bin ich aber gespannt, ob du das hinkriegst.“ Und insgeheim denkt er: Jetzt habe ich für ein paar Stunden meine Ruhe.
Gott sei Dank. Der Bub lässt sich darauf ein, zieht sich in eine Ecke zurück und beginnt mit Feuereifer, das Puzzle zusammenzusetzen. Doch nach wenigen Minuten kommt er wieder zum Vater auf seinem Sofa und zeigt ihm das fertig zusammengesetzte Bild. Der Vater staunt Bauklötzchen und fragt den Buben: „Wie hast du das denn nur zusammengebracht, in dieser kurzen Zeit?“ Der Bub grinst und meint: „Ach, Papa, auf der Rückseite war ein Mensch abgebildet. Wie ich das gemerkt habe, habe ich den Menschen richtig zusammengesetzt. Da habe ich das Bild umgedreht: Und da war auch das Bild von der Welt fertig.“
Liebe Leser, das geschickte Vorgehen des Kindes hat einen tiefen Hintersinn. Es sagt mir: Wo der Mensch in Ordnung ist, da ist auch die Welt in Ordnung.

An Weihnachten zeigt die Kirche einen Menschen, von dem sie behauptet: Der war in Ordnung. Der hat nicht raushängen lassen, wer er ist. Der hat er es nicht verputzen können, wenn die Großen die Kleinen fertig machen; der hat seinen Mund aufgemacht, wenn die Saubermänner mit Dreck am Stecken auf die gezeigt haben, die nicht gesellschaftsfähig waren.
Der war in Ordnung. Der hatte ein Händchen für die Schwierigen. Der hat sich die Haken für andere abgerannt, auch wenn’s ihm nie gedankt worden ist.
Der war in Ordnung. Der ist seiner Linie treu geblieben. Auch als er gespürt hat: Jetzt wird’s brenzlig.
An Weihnachten zeigt die Kirche auf diesen Menschen, der in Ordnung war. Und sie behauptet: Wo Menschen auf diesen Jesus schauen, kommen sie selbst in Ordnung. Und wo Menschen in Ordnung kommen, da kommt auch die Welt in Ordnung.

Credolied: 841,1 („Welt ging verloren, Christ ist geboren“)


Pfarrer Stefan Mai

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