Ein gutes Buch

Rorate

Er sitzt da, die Beine übereinander geschlagen und liest. Der junge Intellektuelle. Sein Blick ist auf ein Buch gerichtet, das seine Hände im Schoß halten. Ein junger Mann, adrett gekleidet, versunken in das Abenteuer des Lesens.

Man höre und staune! Ausgerechnet eine Frankfurter Bank hat so den Würzburger Bischof Adalbero in einer Glasskulptur im Foyer des Bankgebäudes dargestellt.

Ein in ein Buch versunkener Leser - das ist wie eine Gegenwelt in dieser Bank, in der sonst Menschen auf Kontoauszüge, Zahlen und Bilanzen schauen. Dieser Leser, der mit Aufmerksamkeit und doch ungeheuer locker sich über das Buch beugt ist wie eine Homage an das Buch, wie eine Einladung zum Lesen, zum Übersteigen in eine andere Welt über die Brücke des Buches.

Der Schriftsteller Peter Handke notierte einmal: Die 2 schönsten Aufforderungen der deutschen Sprache sind die Wörter „Lass“ und „Lies“. Lassen und Lesen steht in geheimnisvoller Beziehung zueinander. Es geht darum, Voraussetzungen für eine gesammelte Stille zu schaffen. Wer liest, lässt Alltag los, steigt ein in eine andere Zeit, in eine Geschichte, die anders ist als die Normalität des Lebens. Und doch kommt er mit dem Ungewöhnlichen, dem Geheimnis und dem Rätselhaften des Lebens in Berührung.

Wer hat sich nicht schon einmal in einem guten Buch selbst entdeckt oder ertappt, sich gefragt, wie kann der Autor nur meine Gedanken lesen. Wen haben beim Lesen nicht schon einmal Gedanken getroffen und herausgefordert. Und so mancher Leser spürt: Du musst dich ändern!

Die christliche Religion gehört zu den Buchreligionen. Sie hat eine hl. Schrift. In jedem Gottesdienst hören wir aus ihr Texte und Erzählungen. Diese Texte wollen wie gute Bücher Schlüssel zum Verständnis des eigenen Lebens sein, aber auch ein Anstoß, dass sich bei mir im Leben etwas ändern kann. Der Sinn dieser Texte ist: Du kannst mit ihren Gedanken Leben gestalten, ja darauf dein Leben aufbauen. Aber du musst dich diesen Texten stellen. „Kein Mensch kann auf der Tora stehen, wenn er nicht schon einmal über sie gestolpert ist“, meinte ein Rabbi. Und Jesus hören wir heute: „Wer diese meine Worte hört und danach handelt, ist wie ein kluger Mann, der sein Haus auf Fels baute.“

„Keine Zeit ist so eine schöne Zeit zum Lesen, wie die dunkle Zeit des Advents. Ein gutes Buch in diesen dunklen Tagen - ein großes Geschenk. „Lass und lies“ - das könnte ein guter Rat für den Advent sein. Lass dich lesend beflügeln, träumen, trösten, verwandeln ...


Pfarrer Stefan Mai

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