Der Adventskalender

Rorate

Ich weiß nicht, wer der Erfinder des Adventskalenders war. Ich weiß nicht, ob ihn das Lied: „Macht hoch die Tür“ auf die Idee brachte, eine Spannung in die Adventszeit hineinzubringen, mit jedem Morgen ein Türchen zu öffnen und gespannt auf das Bildchen zu schauen, das hinter der Tür erscheint.

Zu unserer Kinderzeit war der Adventskalender ein Karton, bemalt als Winter- oder Häuserlandschaft mit 24 Türchen. Nicht jeder hatte einen, sondern einer hing in der Küche. Unter den Geschwistern wurde abgewechselt, wer an der Reihe war, das nächste Türchen zu öffnen. Und alle schauten jeweils gespannt hin, um zu sehen, was sich dahinter verbarg: eine Kerze, ein Stern, ein Stiefel, ein Stab - jeden Tag etwas Neues - bis dann am 24. Dezember eine Doppeltür aufzumachen war, hinter der meist eine Szene aus dem Stall zu Bethlehem zu sehen war.

Diese Art von Kalender wollte uns als Kinder eine Warteschale sein. Er wollte uns lehren, neugierig, mit Spannung einen neuen Tag zu beginnen.

Wäre es nicht für uns Erwachsene ein ungeheures Geschenk, in dieser kindlichen Haltung in einen neuen Tag hinein zu gehen:
Jeder Tag hat sein eigenes Geheimnis
Jeder Tag hat seine besondere Herausforderung
Jeder Tag hält für mich eine kleine oder große Freude bereit
Jeder Tag birgt für offene Augen vielleicht sogar ein kleines Wunder.

Ich denke, die alten Adventskalender wollten uns nahebringen, diese Kleinigkeiten im Strudel des Alltags nicht zu übersehen, die kleinen Überraschungsmomente zu registrieren, die sich von der Routine abheben und den Tag eine besondere Note geben oder ihn in ein besonderes Licht tauchen.

Ein neuer Tag steht vor der Tür:
mit seinem Geheimnis, mit seinen Begegnungen, mit seiner Plage, mit seiner Herausforderung, mit seiner Freude, mit seinem kleinen Wunder ...


Pfarrer Stefan Mai

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