Drum kommt der Wind, um auszuwischen die Spuren unserer Füße...

Predigt zum Gedenkgottesdienst für die verstorbenen Seelsorger/innen des Dekanats Schweinfurt-Stadt am 22.11..2006 (Ps 103; Lk 17,7-10)

Einleitung

Vor kurzem Bericht lief im Fernsehen ein Bericht über die Regensburger Dombauhütte. Seit Jahrhunderten bauen Menschen ständig an diesem Dom. Heutzutage wird jeder Stein, der restauriert oder der neu eingesetzt wird vom Steinmetzmeister mit seinem persönlichen Zeichen signiert. Man wir noch in Jahrhunderten zurückverfolgen können, wer welchen Stein behauen hat, wer welche Spuren am Domgebäude hinterlassen hat.
Viele Menschen leben in anderen Berufen und Lebensbereichen, deren Nachhaltigkeit sich schlecht nachprüfen lässt. Keine Mutter und kein Vater hat Erfolgsgarantie für die Sorgen und Mühen, die er in seine Kinder investiert. Kein Lehrer weiß, ob er einmal Früchte seiner Arbeit sehen darf. Und ich denke, auch die Seelsorgsarbeit und das Engagement in unseren Kirchengemeinden gehören zu diesen Feldern.

Predigt

Auf seinen Reisen zu den kleinen Planeten seiner Galaxie traf der kleine Prinz einen Geographen, der in einem großen Buch die Berge, Ströme und Sterne festhielt. Der kleine Prinz wollte seine Blume, die er auf seinem Planeten zurückgelassen hatte, registrieren lassen. Aber der Geograph sagte: „Wir schreiben die Blumen nicht auf, weil Blumen vergänglich sind.“ Und der Geograph erklärte dem kleinen Prinzen, dass Vergänglichkeit bedeute, vom baldigem Verschwinden bedroht zu sein. Als der kleine Prinz dies hörte, wurde er sehr traurig. Denn er verstand, dass seine Rose vergänglich war …

Der kleine Prinz war traurig, weil ihm bewusst wurde, dass seine Rose, um die er sich kümmerte, für die er viel Zeit und Sorgfalt investierte, vergänglich war. Diese Geschichte erinnert mich an die bewegende Klage über die Vergänglichkeit des Lebens, die englische Forscher bei einem Stamm in Afrika gefunden haben:

An dem Tag, an dem wir sterben,
kommt der Wind,
um auszuwischen
die Spuren unserer Füße.

Der Wind wirbelt Staub auf
und bedeckt
die Spuren, die bleiben,
wo wir gegangen.

Sonst würde es sein,
als ob wir
immer noch lebten.

Drum ist der Wind,
der kommt,
auszuwischen
die Spuren unserer Füße


Wem von uns sind nicht schon ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen? Was bleibt schon einmal von meinem Leben. Was bleibt von all meinen Mühen und Sorgen? Was bleibt von dem Herzblut, das ich investiert, von der Lebenskraft, die ich gelassen habe? Ja, was bleibt?
Dies hat mir die Geschichte der Pfarrei Hl. Geist wieder einmal bewusst gemacht. Die vielen Seelsorger in Hl. Geist waren für mich Namen wie Schall und Rauch. Peter Papius, Johann Josef Mölter, Nicolaus Casseder, Johann Baptist Hirth, Georg Schmitt, Philipp Staub, um nur einige der bisher 20 Pfarrer zu nennen, wer – außer ein paar geschichtlich Interessierten – hat von uns Schweinfurtern ihre Namen gekannt, wer hat sich schon interessiert für die Probleme, mit denen sie sich in ihrer Zeit herumgeschlagen haben, für die Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen hatten, für die innovativen Ideen, mit denen sie auf die Nöte und Herausforderungen reagiert haben?

An dem Tag, an dem wir sterben,
kommt der Wind,
um auszuwischen
die Spuren unserer Füße.

Der Wind wirbelt Staub auf
und bedeckt
die Spuren, die bleiben,
wo wir gegangen.


Ja, was bleibt einmal auch von unserer Arbeit, von all unseren Sorgen und Mühen? Das Gedicht bleibt aber nicht bei der Klage stehen. Es fährt fort:

Sonst würde es sein,
als ob wir
immer noch lebten.

Drum ist der Wind,
der kommt,
auszuwischen
die Spuren unserer Füße


Um mit der Klage der scheinbaren Vergeblichkeit fertig zu werden, gibt das Gedicht einen versteckten Ratschlag: Bilde dir nicht ein, dass es auf dich ankommt, auch wenn du dich noch so bemühst. Relativiere dich selbst! Der Wind muss kommen, sonst würde es sein, als würden wir immer noch leben. Die Vergangenheit würde übermächtig, es gäbe keinen Freiraum für andere Spuren, andere Wege und Ideen, wenn wir von unseren Vorgängern nichts vergessen würden. Die Spuren der Vorgänger würden zur Fußfessel für die Nachfolger, würde nicht der Wind der Geschichte kommen, um auszuwischen ihre Spuren. Wo bliebe da Freiraum an Innovationskraft?
Ich glaube, um in diesem Punkt einmal nicht enttäuscht zu werden, müssen wir alle durch die Schule der Selbstrelativierung. Diese Schule entpflichtet nicht, sich zurückzulehnen, die Spurensuche anderen zu überlassen, aber zugleich macht sie darauf aufmerksam: Diese Spuren, die du mit Menschen deiner Zeit gelegt hast, sind nicht die Wege derer nach uns. Die müssen und wollen andere Wege finden und werden auch andere Spuren legen.

Ich schaue auf die Wege, die ich gegangen und auf Spuren, die ich gelegt habe und höre das Gedicht nicht mehr als Vergänglichkeitsklage sondern als Befreiung für die nach mir:

An dem Tag, an dem wir sterben,
kommt der Wind,
um auszuwischen
die Spuren unserer Füße.

Der Wind wirbelt Staub auf
und bedeckt
die Spuren, die bleiben,
wo wir gegangen.

Sonst würde es sein,
als ob wir
immer noch lebten.

Drum ist der Wind,
der kommt,
auszuwischen
die Spuren unserer Füße


Genau das ist es doch, wenn Jesus seinen Nachfolgern einschärft: „Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Sklaven, wir haben nur unsere Pflicht und Schuldigkeit getan.

Fürbitten

Herr, unser Gott, unser Leben und unsere Lebenskraft ist ein Geschenk aus deiner Hand. Höre auf unser Gebet:

Fürbittruf 919/2 - V/A


Wir beten für alle, die ihr Leben bewusst in die Hand nehmen und mit ihren Kräften und Begabungen Leben gestalten wollen

Wir beten für alle, die sich nichts zutrauen, vor jedem Wagnis und vor jeder Entscheidung Angst haben und so vieles nicht anpacken, was sie für wichtig halten

Wir beten für alle, die sich in der Seelsorge mühen; für alle, die sich in unseren Pfarrgemeinden auf den verschiedenen Feldern einsetzen und oft wenig Erfolg und Dankbarkeit erfahren

Wir beten für uns selbst, die wir in den kommenden Jahren in Zeiten des Umbruchs Geleise für das Leben einer Stadtkirche legen müssen und dafür viel Kraft und Überlegungen einzubringen haben

Wir beten für alle verstorbenen Seelsorger und Seelsorgerinnen und für alle Menschen, die mit ihnen vor uns das Gesicht unserer Pfarreien gestaltet haben

Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn.


Pfarrer Stefan Mai

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