Die Stunde des Menschensohnes

Predigt zum 33. Sonntag im Jahreskreis (Mk 13,24-32)

Der belgische Maler Rene Magritte hat einmal ein Bild gemalt, auf dem ganz naturalistisch eine wunderschön dargestellte Pfeife zu sehen ist. Aber darunter sind die Worte des Malers zu lesen: Ceci n’est pas une pipe – Das ist keine Pfeife.
Im ersten Moment verwirrend. Da sehe ich eine Pfeife gemalt und dann wird mir gesagt: Das ist gar keine Pfeife. Ich merke aber schnell: Der Maler möchte einen Denkprozess beim Betrachter auslösen und darauf hinweisen: Mein Bild einer Pfeife ist nicht eine Darstellung eines Rauchinstrumentes, sondern möchte als Bild für etwas anderes stehen: für Behaglichkeit, Gelassenheit, Genuss, Nachdenklichkeit.

Auch im heutigen Evangelium wird uns ein Bild vor Augen gemalt, ein Katastrophenbild, ein Bild vom Zusammenbrechen der Welt: „In jenen Tagen wird sich die Sonne verfinstern, und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.“ In Anlehnung an Rene Magritte möchte ich sagen: Vorsicht, bitte das Bild nicht für die Wirklichkeit halten! Es sind Bilder, Abbilder für eine andere Wirklichkeit. Man kann diese Bilder als Bilder einer Seele verstehen, die in eine äußerste-innere Not gerät. Es gibt im menschlichen Leben Situationen, da verfinstert sich die Sonne und die Sterne fallen vom Himmel. In der Depression erleben viele die Dunkelheit der Seele und spüren, dass es in ihrem Herzen keine Sonne mehr gibt. Was sie einmal erfreut und motiviert hat, hat seinen Glanz und seine Kraft verloren. Der Verlust von Menschen durch Tod oder Zerwürfnis bringt die Grundmauern des Lebens ins Schwanken. Das Zerbrechen von Lebensträumen und Lebensentwürfen führt zum Gefühl: Jetzt ist alles aus, die ganze Welt bricht zusammen. Kein Silberstreifen der Hoffnung am Horizont. Das Denken kreist immer nur um das eigene Schicksal und kein Ausweg ist in Sicht.
Das sind doch für Menschen gerade die Stunden und Lebensphasen, in denen er nichts von Gott spürt, nichts vom Versprechen, dass er mich durchs dunkle Tal führt, nichts von einem rettenden Engel in Sicht, nichts von seiner wohltuenden Nähe.

Da ist schwer zu akzeptieren, was das heutige Evangelium behauptet: Wenn solches passiert, dann ist das Kommen des Menschensohnes, das heilende Eingreifen Gottes in dein Leben nicht mehr fern. Wenn solche Dinge passieren, dann, so verspricht Jesus, “wird der Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit“ in das erschütterte und durcheinander geratene Leben hineintreten. Er wird die innere Zerrissenheit heilen und die verängstigte und durcheinander geratene Seele wieder aufatmen lassen. Gerade in der größten Bedrängnis kommt der Retter. Der schizophrene Dichter Hölderlin hat das einmal so formuliert: „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“

In jedem Gottesdienst beten wir das Vater unser mit seiner letzten Bitte: „Erlöse uns von dem Bösen.“ Und als ob unsere Liturgie ein guter Menschenkenner wäre, als ob sie ahnte, dass gerade in solch schweren und unerlösten Situationen der Glaube an das befreiende und erlösende Handeln oft verloren geht. Sie fügt an diesen Bittschrei nochmals eine Verstärkung hinzu: „Erlöse uns, Herr, allmächtiger Vater, von allem Bösen und gib Frieden in unseren Tagen. Komm uns zu Hilfe mit deinem Erbarmen und bewahre uns vor Verwirrung und Sünde, damit wir voll Zuversicht das Kommen unseres Erlösers Jesus Christus erwarten.“ Was heißt das anderes als: Lass uns glauben, Herr: „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“


Pfarrer Stefan Mai

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