Diakone – Wasserträger für die Menschen

Predigt zum 10-jährigen Weihejubiläum von Diakon Josef Eberhorn

Der russische Schriftsteller Leo Tolstoi erzählt folgende Geschichte:

Drei Frauen wollten Wasser holen am Brunnen. Nicht weit davon saß ein alter Mann auf einer Bank und hörte zu, wie die Frauen ihre Söhne lobten.
„Mein Sohn“, sagte die erste, „ist so geschickt, dass er alle hinter sich lässt ...“ „Mein Sohn“, sagte die zweite, „singt so schön wie die Nachtigall! Es gibt keinen, der eine so schöne Stimme hat wie er ...“
„Und warum lobst du deinen Sohn nicht?“ fragten sie die dritte, als sie schwieg. „Er hat nichts, was ich loben könnte“, entgegnete sie. „Mein Sohn ist nur ein gewöhnlicher Knabe, er hat nichts Besonderes an sich und in sich ...“
Die Frauen füllten ihre Eimer und gingen heim. Der alte Mann ging langsam hinter ihnen her. Die Eimer waren schwer und die abgearbeiteten Hände schwach. Deshalb machten die Frauen eine Ruhepause, denn der Rücken tat ihnen weh.
Da kamen ihnen die drei Jungen entgegen. Der erste stellte sich auf die Hände und schlug Rad um Rad. Die Frauen riefen: „Welch ein geschickter Junge!“ Der zweite sang so herrlich wie die Nachtigall, und die Frauen lauschten andachtsvoll und mit Tränen in den Augen. Der dritte Junge lief zu seiner Mutter, hob die Eimer auf und trug sie heim.
Da fragten die Frauen den alten Mann: „Was sagst du zu unseren Söhnen?“ „Wo sind eure Söhne?“ fragte der alte Mann verwundert, „ich sehe nur einen einzigen Sohn!“

Nicht wer groß herauskommt, ist groß, sondern wer Wasserträger für Menschen ist, wer ihnen die Lasten des Lebens zu tragen hilft. Das ist doch die Moral dieser Parabel.
Diese Tolstoi-Geschichte ist für mich ein Spiegel, ein echter Diakonenspiegel, der Diakonen an ihrem 10. Weihetag Stoff zum Nachdenken geben kann.

Es ist schön, wenn ein Diakon spektakuläre Projekte vom Zaun reißen kann, die alle bewundern und die Menschen ansprechen, aber das Wesentliche des Amtes ist es nicht.
Es ist schön, wenn ein Diakon wie eine Nachtigall singen kann und das „Geheimnis des Glaubens“ und „Gehet hin in Frieden“ mit einem klaren Ton trifft, aber das Wesentliche – zum Trost unseres Diakons Josef Eberhorn – ist es nicht.
Es ist feierlich, wenn der Diakon beim Gottesdienst assistiert und in den Kelch das Wein- und Wasserkännchen gießt, aber das Wesentliche seines Dienstes ist es nicht.

Das Wesentliche des Diakonenamtes in Anlehnung an die Tolstoi-Geschichte ausgedrückt, ist das Blick dafür, wo haben Menschen schwere Lasten zu tragen, und die eigene Bereitschaft, sie ihnen tragen zu helfen.

„Einer trage des anderen Last“ – diesen programmatischen Satz haben die Diakone des Weihejahrgangs 1996 sich für ihren Weihegottesdienst als Motto gewählt und sie haben sich an diesem Tag unter die programmatischen Worte aus dem Galaterbrief gestellt: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Wer sich einbildet, etwas zu sein, obwohl er nichts ist, der betrügt sich ... Lasst uns nicht müde werde, das Gute zu tun...“ (Gal 6,2.3.9).

Die ersten Christen haben ganz bewusst für dieses Amt das Wort „Diakonos“ gewählt, das hieß damals Tischdiener sein, Fußabwascher. Das Wesentliche des Diakonenamtes ist: hinlangen; das tun, was selbstverständlich und scheinbar nichts Großes ist. Einen Blick für die Menschen haben, die zu den kleinen Leuten zählen, die nicht im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen, denen Scheinwerfer, Schlagzeilen und Kameras eher peinlich wären. Einen Blick für Menschen haben, die sich im Leben abplagen und doch nie auf einen grünen Zweig kommen.
Mit diesem Blick und in dieser Einstellung können Diakone zu dem werden, was Dom Helder Camara in einem Gedicht in Sprache gesetzt hat: zu echten Handlangern Jesu und zu von Gott geschickten Engeln:

Wenn Arbeit und Sorgen
den kleinen Leuten das Hemd durchnässt,
schau dich um, und du wirst sehen,
dass Engel
die Schweißtropfen einsammeln,
als seien es Diamanten.


Vor allem für diesen Dienst wünsche ich unserem Diakon Josef Eberhorn und seinen Kollegen zu Ihrem Jubiläum Gottes Kraft und Segen.


Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de