„Ja, das können wir!“

Predigt zum 29. Sonntag im Jahreskreis (Mk 10,35-45)

Ich weiß es nicht, wie es Ihnen geht. Von mir habe ich den Eindruck: Je älter ich werde, desto vorsichtiger bin ich in Entscheidungen, ich fälle sie nicht mehr wie in jungen Jahren so einfach aus dem Bauch heraus. Je älter ich werde, desto nachdenklicher ist meine Grundstimmung. Ich habe mehr Bedenken als früher, wenn es etwas Neues in Angriff zu nehmen gilt. Je älter ich werde, desto weniger optimistisch bin ich und gehe nicht mehr so stürmisch oder blauäugig in ein neues Unterfangen hinein. Je älter ich werde, desto mehr nimmt die unbekümmerte und unbeschwerte Haltung ab: So das pack ich jetzt einfach an, das mut’ ich mir jetzt zu, da geht es einfach durch.
Mit dem Alter mögen Routine und Erfahrung wachsen, aber die Unbekümmertheit, eine Art abenteuerliche Leichtsinnigkeit schwindet. Diese Unbeschwertheit ist eine Stärke der Jugend, einfach ungestüm reingehen ins Ungewisse, im Vertrauen: Es geht gut und die Kraft, die du investierst, zahlt sich auch aus.

Diese Haltung des jugendlichen Draufgängertums war im Kind Reimund Kolbe lebendig. Er träumte davon, als Abenteurer durch die Welt zu ziehen oder gar durch das Weltall zu fliegen. Und schon im Kind war eine Art Draufgängertum angelegt. Seine Mutter hat die Episode einige Monate nach dem Tode Maximilians erzählt. Nachdem sie ihrem Buben einmal seufzend, wie es fast jede Mutter einmal tut, die Frage gestellt hatte: Was soll aus dir nur werden?, betete dieser zur Madonna, sie solle ihm sagen, was aus ihm einmal werden wird. Da erschien sie ihm und hielt zwei Kronen in den Händen, eine weiße und eine rote. Die weiße Krone sollte bedeuten, dass er ein Leben lang die Keuschheit bewahren sollte, die rote, dass er einmal als Märtyrer sterben werde. „Welche von beiden willst du?“, fragte sie ihn. Und der kleine Reimund soll völlig unbekümmert und prompt geantwortet haben: „Beide!“

Die Haltung des jungen Maximilian Kolbes ist verwandt mit der Einstellung der zwei jungen Männer, die im heutigen Evangelium zu Jesus kommen. Sie wollen Karriere machen. Sie wollen ganz vorn mitmischen, wollen was erreichen, einfach obenauf sein. Und sie trauen sich etwas zu. Sie lassen sich auch nicht abschrecken, als Jesus ihr Karrieredenken zurechtbügelt: Den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken habe nicht ich zu vergeben...“ Und auf die Frage: „Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke oder die Feuertaufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde?“, antworten sie ohne zu zögern vollbrüstig: „Ja, das können wir!“

Mir stockt da der Atem. „Ja das können wir!“ So selbstsicher, so von sich selbst überzeugt.
Je älter ich werde, desto weniger würde ich mir diese heroische Haltung zutrauen: Ja, den Kelch kann ich trinken und die Feuertaufe bestehen.
So manches Mal frage ich mich: Wirst du einmal tapfer bleiben, wenn dich einmal eine Krebskrankheit zerfressen sollte? Wirst du einmal ruhig und gelassen bleiben, wenn dich ein Schlaganfall lahm legt? Hast du einmal die Kraft, Schweres einfach weg zu stecken und Schicksalsschläge in einer guten Haltung zu tragen? Wird es dich nicht einfach zu Boden drücken, wenn du schwere Belastungen durchzutragen hast? So manches Mal frage ich mich: Wird dein Glaube einmal so stark sein, dass dich Feuertaufen nicht umwerfen und bittere Kelche dich nicht niederstrecken?

„Ja, das können wir!“ Da stockt mir der Atem. Aber ich staune zugleich, wie Jesus auf diese Antwort reagiert. Jesus kanzelt die beiden nicht ab. Er sagt nicht: „Ihr jungen Dutterer, ihr werdet schon noch sehen!“
Er kontert nicht: „Ihr Sprüchbeutel, euch wird euer großes Maul schon noch gestopft!“ Er droht nicht: „Euch werden schon noch die Knie wackeln, wenn es euch erwischt!“
Er sagt ganz nüchtern: „Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke, und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde.“ Und er schiebt noch eine Belehrung hinterher:
„Wer von euch groß sein will, der soll euer Diener sein und wer bei euch der erste sei will, soll der Sklave aller sein!“

Heißt das nicht: Am ehesten werden die einmal die bitteren Kelche trinken und Schweres wegstecken können, die schon zu Lebzeiten das Bescheiden, das sich Zurücknehmen bei Zeiten gelernt haben, die den Mut zum Dienen praktiziert haben, die nicht darauf aus sind, auf Teufel komm raus Karriere zu machen und möglichst aus allem was raus zu schinden.
Und für mich ist es kein Wunder, dass der letzte Satz der Jüngerbelehrung heißt: Nehmt Maß an mir. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele. Heißt das nicht: Das Maßnehmen an und die Beziehung zum leidenden Menschensohn sind Kraftquellen?

Männer wie Dietrich Bonhoeffer, Maximilian Kolbe haben dies beispielhaft gezeigt. Oder auch der 31-jährige Architektenstudent Stefan Jasnienski, der in Auschwitz ermordet wuwrde. Bevor er im Todesbunker zur Erschießung geführt wurde, hat er mit den Fingernägeln den Gekreuzigten in die Wand der Todeszelle geritzt. Dieses Kreuz hat sich mir tief eingeprägt. Es ist für mich wie ein Testament: Steh du mir bei, wenn ich den schweren Kelch trinken muss. Meine Kraft ist sonst zu klein!


Pfarrer Stefan Mai

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