Perlen des Glaubens als Schatz weitergeben

Predigt zum 50. Weihetag der Kirche Maria Hilf in Schweinfurt

50 Jahre alt geworden ist die Kirche Maria Hilf in Schweinfurt. Am Rosenkranzfest des Jahres 1956 wurde diese Kirche geweiht und seit 50 Jahren feiern die Gartenstädter das Patroziniumsfest ihrer Kirche am „Gedenktag unserer lieben Frau vom Rosenkranz“. Ein Patrozinium wird von einer jungen Pfarrei nie blind gewählt. Ein Patrozinium stellt immer ein Programm dar, möchte eine ständige Erinnerung und eine Glaubenshilfe für die Gläubigen sein. Die den Namen damals gewählt haben waren überzeugt: Das Rosenkranzgebet ist eine Hilfe zum Glauben und auch eine Hilfe im Leben. Sie wollten klar machen: Gebet und Glaube, das ist wie eine Kette, an der ich mich festhalten kann.

Hand auf’s Herz! Lebt diese Überzeugung noch in der Pfarrei Maria Hilf? Lebt das Rosenkranzgebet noch in der Pfarrei. Lebt es noch in den Häusern der Gartenstadt? Greifen Sie selbst noch zu dieser Gebetsschnur? Bringen Sie die Gesätze eines schmerzhaften und freudenreichen Rosenkranzes noch zusammen? Spüren Sie innerlich noch die Weisheit dieses alten katholischen Gebetes oder machen Sie die 59 Perlen nervös anstatt ruhig? Ich denke, ich liege nicht falsch: Der eine oder die andere macht noch manchmal einen Versuch mit diesem Gebet, aber irgendwie bleibt dieses Gefühl: Ich habe meinen Glauben in Gebetsformeln und Ritualen geerbt, aber diese Formeln und Rituale sind mit der Zeit schal geworden. Sie haben die Anbindung an das Leben und die Kraft zur Lebensbewältigung verloren. Und wie viele von Ihnen, die dieses Gebet selbst noch schätzen und pflegen, haben wirklich die Liebe zu diesem Gebet an ihre Kinder oder Enkel weitergeben können?

Gewiss, der Rosenkranz ist nicht das Zentrum unseres Glaubens, aber das Schicksal des Rosenkranzes zeigt mir, wie schnell der Zugang für heutige Menschen zum Glaubensschatz unserer Kirche verloren gehen kann und wie es mit einem lebendigen Glaubensleben in unseren Pfarrgemeinden steht. Der Glaube wird nicht mehr als vitale Lebenskraft empfunden, unsere Gottesdienste nicht mehr als begleitender Lebensproviant für die nächste Woche, unsere kleiner werdenden Kreise und sterbenden Pfarrei-Gruppen nicht mehr als Lebensbereicherung des Alltags. Ist alles, worum wir uns in unseren Pfarrgemeinden bemühen, überholt? Taugt das alles für den heutigen Menschen nicht mehr? Sollen wir einfach so zumachen und warten, bis der Letzte das Licht ausmacht? Wie kann, wie soll angesichts solch niederschmetternder Tatsachen die Pastoral in unseren Gemeinden und in unserer Stadt weitergehen und neu gestaltet werden?

Meine erste These: Wir haben es nicht geschafft, in einer sich rasant verändernden Zeit den Schatz und den Reichtum unserer Glaubenstraditionen in einer neuen Sprache für neue Lebenssituationen heutiger Menschen als Lebenshilfe weiter zu geben. Und die entscheidende Frage und die große Herausforderung für ein Pastoral der Zukunft wird sein: Können wir diesen alten Glaubensschatz, auf den viel Staub gefallen ist oder der vielleicht verborgen vergraben liegt, neu zum Glänzen bringen oder neu heben. Geht uns selbst seine Lebensweisheit und -kraft wieder neu auf und können wir suchende Menschen von heute darauf wieder neugierig machen?

Meine zweite These: Das Seelsorgeangebot einer Pfarrei wird in einer Stadt diese große Aufgabe allein nicht mehr leisten können. Da hilft es nicht, einen meditativen Wortgottesdienst mehr zu gestalten, mehr Familienwochenenden oder einen Vortrag mehr anzubieten. Die neue Sinusstudie hat uns vor Augen geführt: Mit unseren pfarrlichen Angeboten erreichen wir nur noch das Lager der bürgerlichen Mitte und der Traditionsverwurzelten. Der Zugang zu den anderen Milieus unserer Gesellschaft gelingt uns nicht mehr. Und gerade dies ist für die Pastoral der Zukunft der entscheidende Knackpunkt. Und gerade dafür brauchen wir im Blick auf die zukünftige Pastoral in unserer Stadt Schweinfurt den Blick über den eigenen Kirchturm hinaus, brauchen wir überpfarrliche Projekte und Modelle in unserem Dekanat Schweinfurt, um im Stande zu sein, neue Schichten und Milieus anzusprechen.

Ein Beispiel

Ich möchte dies an einem Beispiel verdeutlichen:
Ausgerechnet in einer Zeit, in der das Rosenkranzgebet nicht mehr viel Freunde hat, erlebt eine Form von Rosenkranzgebet vor allem in jüngeren Schichten in den skandinavischen Ländern einen neuen Boom und inzwischen einen neuen Aufbruch auf Kirchentagen. Ausgerechnet ein evangelischer Christ, der schwedische Bischof Martin Lönnebo, hatte die Idee, die Perlenkette und das Ritual des Rosenkranzgebetes aufzugreifen und die verborgene Weisheit dieser alten Gebetsform für heutige Mensche neu zum Sprechen zu bringen. Dieser evangelische Bischof musste im Jahr 1996 wegen eines Sturms mehrere Tage auf einer kleinen griechischen Insel verbringen. Eigentlich wollte er ein Buch über den Glauben schreiben, doch als er die griechischen Fischer mit ihren Perlenketten beobachtete, hatte er eine andere Idee. Er zeichnete eine Perlenkranz aus insgesamt 18 Perlen mit verschiedenen Formen und Farben. An diesem Kranz gibt es weiße Perlen, eine beige, eine blaue, zwei rote, eine schwarze und eine große goldene. Jede der 18 Perlen hat ihre eigene Bedeutung.
Da gibt es die goldene Gottesperle,
die sechs schmalen beigen Perlen der Stille,
die weiße Ich- und Tauf-Perle,
die sandfarbene Wüsten-Perle,
die blaue Perle der Gelassenheit,
die zwei roten Perlen der Liebe,
die drei kleinen weißen Geheimnis-Perlen,
die schwarze Perle der Nacht
und die weiße Auferstehungs-Perle.



Anhand dieser Perlen regt Martin Lönnebo heutige Menschen an, über ihr Leben nachzudenken und sich kreativ und sinnlich mit dem Glauben auseinanderzusetzen und mit diesen Perlen aus dem Glauben heraus das Leben zu gestalten. „Fräsalkransen“, „Rettungsring“ nennt Lönnebo seinen neuen Rosenkranz und hofft mit seinem neuen und doch so alten Gebet heutigen Menschen eine echte Lebenshilfe für ihren Alltag an die Hand zu geben.

...und seine Lehre

Was möchte ich mit diesem Beispiel deutlich machen?
So manch alter Mensch wird es bestätigen können. Das Rosenkranzgebet ist für ihn eine Hilfe zum Ruhig-Werden. Eine Hilfe zum Abschalten. Er setzt sich auf den Stuhl daheim oder in die Kirchenbank und nimmt sich eine knappe halbe Stunde Zeit. Wenn die Perlen durch die Hand gleiten und still oder laut die „Gegrüßet seist du Maria“ gemurmelt werden, kommt das Herz in dieser Gebetsform vor dem Angesicht Gottes zur Ruhe.
Martin Lönnebo weiß, diese wertvolle Erfahrung des Still- und Ruhig-Werdens wird der heutige Mensch nicht mehr so leicht erfahren, wenn ich ihm sage: Setz dich jetzt hin und bet’ den Rosenkranz. Ich muss ihm diese Weisheit des alten Gebetes neu erfahren lassen. Und so versucht er mit den sechs länglichen Stille- Perlen sechs Schritte zum Einüben von Stille an die Hand zu geben:
Eine ruhige und entspannte Körperhaltung finden –
den Atem ruhig und entspannt fließen zu lassen –
Geräusche meiner Umgebung bewusst wahrnehmen –
sie wieder loslassen und auf den Atem achten –
in sich hineinzuhorchen –
wieder langsam zurückkehren.

So manche Rosenkranzbeterin wird es bestätigen: Das Rosenkranz-Gebet gibt ihr in großen Sorgen, in schwierigen Zeiten, in großer Ratlosigkeit noch Halt.
Martin Lönnebo weiß, diese wertvolle Erfahrung des Haltfindens und diese Bewahrung vor dem Durchdrehen wird der heutige Mensch nicht mehr so leicht erfahren, wenn ich ihm sage: Setz’ dich jetzt hin und bet’ den Rosenkranz! Ich muss ihm diese Weisheit des alten Gebetes neu erfahren lassen. Und so ermuntert er, in Wüstenzeiten des Lebens diese Wüsten-Perle bewusst in die Hand zu nehmen als Symbol für die Dürre, den Zweifel, den Kampf und die Niedergeschlagenheit im Leben und dabei zu beten: „Ich kann nicht mehr weiter. Ich fühle mich kraftlos. Geh mit mir Gott durch meine Wüste!“
Vielleicht brauchen wir noch ganz andere Formen in der Stadt-Seelsorge, um Menschen eine Hilfe anbieten zu können, mit den Wüsten des Lebens umzugehen. Warum nicht in unserer Innenstadtkirche Heilig Geist einmal in ein Seitenschiff ein paar Fuhren Sand kippen, um auf Wüsten in unserem Leben hinzuweisen. Warum nicht Menschen einladen, barfuß über diesen Sand zu laufen, um vor ihrer Wüste nicht auszureißen. Mitarbeiter des Gesprächsladens stehen als Gesprächspartner bereit und geben das Gefühl, du musst nicht allein durch die Wüste gehen. Und warum nicht am Tag der ewigen Anbetung die Monstranz in diese Sandwüste stellen, um Gott um die Kraft zu bitten, die Wüsten des Lebens zu bestehen?

So mancher von uns weiß, dass Schicksalsschläge und der Tod lieber Menschen sprachlos machen können. Und so mancher weiß, welch ein Segen es ist, sich dann an ein Gesätzchen des schmerzhaften Rosenkranzes anzuhängen, wenn ich selbst nicht mehr denken kann.
Martin Lönnebo weiß, diese wertvolle Erfahrung, das Gebet ist in solchen Stunden noch ein Rettungsring wird der heutige Mensch nicht mehr so leicht erfahren, wenn ich ihm sage: Setz’ dich jetzt hin und bet’ den Rosenkranz! Ich muss ihm diese Weisheit des alten Gebetes neu erfahren lassen. Uns so gibt er ihm mit der schwarzen Perle der Nacht ein Medium in die Hand, um nicht haltlos zu werden und zu flehen: „Gott, wo bist du? Gehe mir doch durch die Nacht!“
Und ich muss ihm in einer Pastoral der Zukunft vielleicht nach andere Formen von Hilfen auf der Stadtebene anbieten, um sich dem Gedanken an das eigene Sterben zu stellen und mit Verlusten im Leben fertig zu werden.

Zwei Geleise der Pastoral

„Zukunft der Seelsorge und der Pastoral in unserer Stadt Schweinfurt“ - zu diesem Thema hat mich Ihr Pfarrer Stefan Redelberger gebeten, ein paar Predigtgedanken zu sagen.
Ich bin überzeugt: Die Pfarrseelsorge und das Glaubensleben in der Pfarrei ist und bleibt ein wichtiges Standbein einer zukünftigen Pastoral in der Stadt. Aber zugleich wird sie den Anforderungen angesichts der massiven Veränderungen und so ausdifferenzierten Ansprüchen in unserer Gesellschaft nicht mehr allein Genüge leisten können. Es braucht zusätzlich überpfarrliche kreative Teams, die den Glauben für neu Suchende neu formulieren und neue Zugangswege eröffnen wollen. Die Seelsorge der Zukunft wird auf die einfachen Formen und Menschen unserer Pfarreien angewiesen sein, die in Treue und Zuverlässigkeit ihre Glaubensform pflegen und so die Glaubensformen unserer Kirche erhalten. Aber es braucht zugleich Menschen, die über die Pfarreien hinaus die oft untergegangene Weisheit der alten Gebets- und Glaubensformen als Übersetzungskünstler neu heben und neu an den Mann und die Frau bringen.
Um es in ein Bild zu bringen: Die Zukunft der Pastoral wird zweigleisig fahren müssen. Wir brauchen unsere Pfarreien weiterhin als Stützlager, in dem Beziehung gepflegt und Glaubensschätze bewahrt, praktiziert und durchgetragen werden. Wir werden aber auch immer vermehrt wagemutige und phantasievolle Menschen brauchen, die von diesen Stützpunkten aus zu Expeditionen aufbrechen, um an verschiedenen Punkten unserer Stadt, die alte Weisheit und Lebenserfahrung unseres Glaubens in einem neuen Gewand neu suchenden Menschen als Hilfe zu einer Lebensbewältigung anbieten zu können. Für diesen alten und neuen Weg bitte ich Gott für unsere Stadt um seinen Segen.


Pfarrer Stefan Mai

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