Die sonderbare Karriere eines Wortes

Predigt zum 25. Sonntag im Jahreskreis

Für die Spitzenpositionen und Leitungsämter haben sich Betriebe, Organisationen, Vereine, Länder und Kirchen immer besondere Titel und Bezeichnungen gesucht. Da wimmelt es von Direktoren, Superindendenten, Oberkirchenräten, Präsidenten, Abteilungschefs u. s. w.
Franz von Assisi gab dem obersten Leiter seiner Gemeinschaft die Bezeichnung „allgemeiner Diener“. Dieser Diener, so schrieb er in seiner Regel, solle sein Amt nicht als Eigentum beanspruchen. Sondern wenn es ihm befohlen werde, müsse er es zur selben Stunde widerspruchslos niederlegen.
Die Regel des Franz von Assisi war auf lateinisch verfasst. Der Begriff für „allgemeiner Diener“ hieß darin generalis minister. Dieser generalis minister erlebte in Europa eine bemerkenswerte Karriere. Daraus wurde der „General“ und der „Minister“. Bezeichnungen für Ämter, die im allgemeinen Bewusstsein gerade das Gegenteil dessen beinhalten, was Franziskus wollte: Spitzenpositionen, Vollmacht, Reichtum, Ansehen. Nur im Begriff des Ministranten lebt noch fort, was Franziskus damit gemeint hat und was noch heute die Herausforderung aller hohen Ämter darstellt: Nicht die großen Herren spielen, sondern Diener für alle, Diener für das Gemeinwohl zu sein.
Franz von Assisi hatte bei der Auswahl des Namens für den Ordensoberen das heutige Evangelium vor Augen. Während die Jünger wie Streitgockel Karrierestufen verteilen wollen, rammt Jesus mit einem einzigen Satz einen Markierungspfeiler für wahre Größe ein: „Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein.“ Generalis minister. Um es noch zu verdeutlichen, was er damit meint, stellt er ein Kind in die Mitte, nimmt es in die Arme und kommentiert seine zeichenhafte Handlung mit den Worten: „Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf.“ Mit anderen Worten. Echte Größe heißt: Leben ermöglichen, vor allem für die, die auf Hilfe angewiesen sind. Wahre Größe heißt: „Ministrant“ des Lebens zu sein, dem Leben dienen und Leben ermöglichen.
Für Ottonormalverbraucher ist es eine große Verführung, immer nach oben zu deuten und so insgeheim denen in höheren Positionen vorzuwerfen, sie würden nur auf ihren eigenen Vorteil schauen. Aber diesem Kriterium Jesu, echte Größe heißt Leben ermöglichen, hat sich jeder Mensch zu stellen, egal ob er Spitzenfunktionär, einfacher Arbeiter oder Rentner ist.

Natürlich kann man sagen: Ich hab fast vierzig Jahre geschafft. Meine Rente hab ich sauer verdient. Die genieße ich jetzt und sonst juckt mich nichts mehr. Man kann aber auch im Sinne Jesu fragen: Wo dienst du noch dem Gemeinwohl, dem Leben der jungen Generation. Keine Generation vor dir und wahrscheinlich auch so schnell keine nach dir wird in einem solch gesicherten Status sein Alter verbringen dürfen.
Natürlich kann man sagen: Beruflich bin ich eingespannt genug. Wenn ich die Bürotür hinter mir zumache oder aus dem Fabriktor heraußen bin, dann will ich mein Plaisier, meine Ruhe, meinen Urlaub. Man kann sich aber auch fragen: Wo und wie könnte ich mit meinen Fähigkeiten und Begabungen für das Allgemeinwohl eine Hilfe sein, dass einfach mehr Leben möglich ist, ohne dass ich mich überbeanspruche.
Natürlich kann man sagen: Hauptsache, ich bin in der Schule gut und schaffe so die besten Voraussetzungen für spätere Berufschancen. Man kann sich aber auch sagen: Es ist ein Geschenk, dass ich mich in der Schule so leicht tue und ich greife einer Mitschülerin unter die Arme, die sich nicht so leicht tut.

„Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein!“ so lautet das Programm Jesu. Generalis minister - allgemeiner Diener, so nannte Franz von Assisi den Obersten seines Ordens. Diesen Begriff von wahrer Größe können meiner Meinung nach nur Menschen im Leben umsetzen, die tief innen spüren: Ich bin dankbar für so vieles, was mir unverdient im Leben geschenkt worden oder mit auf den Weg gegeben worden ist. Davon gebe ich als Dank dem Allgemeinwohl wieder einen Teil zurück, um mehr Leben zu ermöglichen.


Pfarrer Stefan Mai

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