Der Rufer

Predigtmeditation zum 24. Sonntag im Jahreskreis

Die letzte Station beim Besuch von Papst Benedikt in Bayern war der Domberg von Freising. Bei der gesamten Fahrt durch die Stadt begleitete ihn das mächtige Geläut des Freisinger Doms.

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Hier wurde der junge hochbegabte Josef Ratzinger zum Priester geweiht. Während er bei der Allerheiligenlitanei auf dem Boden lag, stieg im Dom eine Lerche, die sich in den Gemäuern verirrt hatte, jubilierend empor und sang ihr Lied. Für Ratzinger wie ein Mut machendes Omen: Es wird alles gut. Hier auf dem Domberg dozierte der junge Professor Theologie. Und man spürte ihm an, wie gelöst, wie dankbar er für die Tage seines Besuchs war. Er meinte „Dies ist für mich ein Augenblick der Freude und großen Dankbarkeit für alles, was ich auf diesem Pastoralbesuch in Bayern erleben und empfangen durfte, so viel Herzlichkeit, soviel Glaube, soviel Freude an Gott, dass es mich tief getroffen hat und als neue Kraft mit mir geht.“
Nur wenige Meter vom Dom entfernt liegt das Diözesanmuseum der Diözese München-Freising. Junge Studenten der Akademie der Bildenden Künste in München wurden in diesem Jahr eingeladen, sich vom Thema „Eremiten“ anregen zu lassen. Gleich in der Eingangshalle, im Lichthof, liegt eine große Stahlglocke. Der junge Künstler Christian Harthard vergoldete sie und kleidete sie innen mit schallschluckendem Schaumgummi aus und nannte sie „Rufer in der Wüste“. Die schalltote Glocke liegt am Boden. Nach außen hin goldglänzend, aber ihre Stimme kann nicht mehr gehört werden. Ein bestürzendes Zeichen. Sie steht für die Stimme der Kirche, die immer weniger gehört wird. Das glänzende Gold außen ein Bild für den Aufwand und die Pracht einer Kirche. Die am Boden liegende Glocke und der Schaumgummi ein Zeichen dafür, dass ihre Stimme vielen Zeitgenossen nichts mehr zu sagen hat.

So mancher hatte Angst, die Reise des Papstes könnte zu einem Nostalgietrip eines in Weisheit ergrauten Kirchenoberhauptes werden, aber in jeder Predigt ließ Papst Benedikt keinen Zweifel daran: Er kommt als „Rufer“ in seine Heimat, um geistliche Impulse zu geben, auch um seinen Finger in manche Wunde zu legen. Und so möchte ich heute noch einmal ganz bewusst Worte von ihm in unsere Herzen hineinläuten lassen, die mich selbst nachdenklich gemacht haben.

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1. Papst Benedikt wurde auf seine Reise nicht müde, dafür zu werben, neu die Antennen für Gott auszufahren. Dafür fand er eindringliche Worte: „Es gibt eine Schwerhörigkeit Gott gegenüber, an der wir gerade in dieser Zeit leiden. Wir können ihn einfach nicht mehr hören – zu viele Frequenzen haben wir im Ohr. Was über ihn gesagt wird, erscheint vorwissenschaftlich, nicht mehr in unsere Zeit passend. Wer auf Gott nicht mehr hört, kann auch zu Gott nicht mehr beten: Mit der Schwerhörigkeit oder gar Taubheit Gott gegenüber verliert sich natürlich auch unsere Fähigkeit, mit ihm und zu ihm zu sprechen.“

2. Benedikt ist überzeugt, wenn wir mit anderen Kulturen und Religionen in einen Dialog kommen wollen, dann müssen wir wieder zur Ehrfurcht Gott gegenüber zurückfinden. Originalton Benedikt: „ Die Völker Afrikas und Asiens bewundern zwar die technischen Leistungen des Westens und unsere Wissenschaft, aber sie erschrecken vor einer Art Vernünftigkeit, die Gott total aus dem Blickfeld des Menschen ausgrenzt und dies für die höchste Art von Vernunft ansieht, die man auch ihren Kulturen beibringen will. Nicht im christlichen Glauben sehen sie die eigentliche Bedrohung ihrer Identität, sondern in der Verachtung Gottes und in dem Zynismus, der die Verspottung des Heiligen als Freiheitsrecht ansieht...Die Toleranz, die wir dringend brauchen schließt die Ehrfurcht vor Gott ein – die Ehrfurcht vor dem, was anderen heilig ist. Diese Ehrfurcht vor dem Heiligen der anderen setzt aber wiederum voraus, dass wir selbst die Ehrfurcht vor Gott wieder lernen. Diese Ehrfurcht kann in der westlichen Welt nur dann wieder regeneriert werden, wenn der Glaube wieder wächst, wenn Gott für uns und in uns wieder gegenwärtig wird.“ Somit wirft der Papst einen neuen Toleranzbegriff auf. Toleranz in der Tiefe ist die Ehrfurcht vor dem, was dem anderen heilig ist. Und es bleibt mir ein Rätsel, wie man diesem Mann, der auf seiner Reise viel deutlicher auf den Balken im Auge des säkularisierte Westens zeigte als auf den Splitter im Auge des islamischen Nachbarns, Verunglimpfung des Islams vorwerfen will, wenn er aus einem historischen Dialog einen byzantinischen Kaiser aus dem 14. Jahrhundert zitiert.

3. Papst Benedikt macht darauf aufmerksam: Sozialer Einsatz und Evangelium gehören zusammen und die Förderung sozialer Projekte darf nicht zur Vernachlässigung der Vermittlung des Glaubens führen. Auf dem Freigelände der Neuen Messe in München meinte er: „Dann und wann...sagt ein afrikanischer Bischof: Wenn ich in Deutschland soziale Projekte vorlege, finde ich sofort offene Türen. Aber wenn ich mit einem Evangelisierungsprogramm, stoße ich eher auf Zurückhaltung. Offenbar herrscht da bei manchen die Meinung, die sozialen Projekte müsse man mit höchster Dringlichkeit voranbringen; die Dinge mit Gott oder gar mit dem katholischen Glauben, die seien eher partikulär und nicht so vordringlich. Und doch ist es gerade die Erfahrung dieser Bischöfe, dass die Evangelisierung vorangehen muss; dass der Gott Jesu Christi bekannt, geglaubt, geliebt werden, die Herzen umkehren muss, damit auch die sozialen Dinge vorangehen...Das Soziale und das Evangelium sind einfach nicht zu trennen. Wo wir den Mensche nur Kenntnisse bringen, Fertigkeiten, technisches Können und Gerät, bringen wir zu wenig. Dann treten die Techniken der Gewalt ganz schnell in den Vordergrund und die Fähigkeit zum Zerstören, zum Töten wird zur Fähigkeit, Macht zu erlangen, die dann irgendwann einmal das Recht bringen soll und es doch nicht bringen kann.“

4. Ein vierter Punkt, der mich berührt hat: Der Papst versuchte den Glauben nicht kompliziert, sondern ganz einfach dazustellen: „Der Glaube ist einfach“, meinte er. „Wir glauben an Gott – an Gott, der sich auf uns Menschen einlässt, der unsere Herkunft und Zukunft ist. So ist der Glaube immer zugleich Hoffnung, Gewissheit, dass wir Zukunft haben und nicht ins Leere fallen. Und der Glaube ist Liebe, weil Gottes Liebe uns anstecken möchte. Wir glauben einfach an Gott. Und das heißt Hoffnung, das heißt Liebe.“ Und daraus folgert Benedikt: Wir müssen als Christen Zeugen für diesen christliche Botschaft werden: „Ja, der Liebe kann der Mensch glauben. Bezeugen wir unseren Glauben so, dass er als Kraft der Liebe erscheint, damit die Welt glauben kann!“ Mit diesem Appell schloss er seine Predigt zur ökumenischen Vesper im Regensburger Dom.

5. Als Vorbild einer solchen Lebensweise stellt der Papst immer wieder den Gläubigen Maria vor Augen. Tief bewegt hat mich das einfache Mariengebet vor der Mariensäule, mit dem er zugleich ein Programm vorgab, wie man von der Mutter Jesu lernen kann, einfach und menschlich zu leben und wie man Gott finden kann. „Unsere Vorfahren“, so betete er, „ wollten dir auf den Wegen des Alltags immer wieder begegnen und von dir das rechte Menschsein lernen; von dir lernen, wie wir Gott finden und so zueinander kommen können. Sie haben dir Krone und Zepter, die damaligen Symbole der Herrschaft über das Land gegeben, weil sie wussten, dass dann die Macht und die Herrschaft in den rechten Händen sind – in den Händen der Mutter...Deine Macht ist die Güte. Deine Macht ist das Dienen. Lehre uns, die Großen und die Kleinen, die Herrschenden und die Dienenden, auf solche Weise unsere Verantwortung zu leben.“ Welches Lebensprogramm angesichts so vieler Aufgeblasenheit und übertriebenem Karrieregeist, die das Ego zelebrieren und unsere Gesellschaft immer mehr beherrschen!

Liebe Leser, ich habe Papst Benedikt als einen tief denkenden, bescheidenen und weisen Mann erlebt, der es verstand, Intellektuelle und einfache Menschen gleichermaßen zur Nachdenklichkeit anzuregen. Und Nachdenklichkeit ist eine Tugend, die unsere laute, schnelllebige Zeit so dringend nötig hat. Für diesen Ruf zur Nachdenklichkeit danke ich ihm.

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Pfarrer Stefan Mai

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