Spuren, die bleiben

Predigt zur Verabschiedung von Schwester Herlindis als Oberin des St. Josefs-Krankenhaus

Liebe Schwester Herlindis, liebe Schwestern, Ärzte Pfleger und Angestellte im Josefs-Krankenhaus, liebe Gäste!

„Spuren auf weißem Grund“ – diesen Titel trägt das Bild von Antonio Tapies Puig, das Sie in den Händen halten. Für mich ist es ein Bild des Lebens. Wenn ein Menschenkind auf die Welt kommt, so liegt seine Lebenszeit noch vor ihm, wie ein weißes, unbeschriebenes Blatt. Seine Lebenszeit liegt vor ihm wie eine weiße unschuldige Schneelandschaft, in die noch keine Fußspur gesetzt ist. So viele Wege sind noch nicht gegangen, so viele Lebensgeleise noch nicht gelegt. Aber mit jedem Tag legt ein Mensch Lebensspuren und das Leben hinterlässt an ihm seine Spuren.
Auf dem Gemälde von Antonio Tapies Puig kommen die Fußspuren von außen ins Bild. Der Kreis wird enger. Die älteren Spuren verblassen langsam. Die jüngsten Eindrücke sind die kräftigsten. Und die Frage steht im Raum: Bleibt etwas von diesen Spuren übrig oder kommt einmal die Meereswelle, die alle Spuren auswischt? Spuren in meinem Leben, Spuren von Menschen, die mich geprägt haben. Spuren von Ereignissen, die nachwirken. Spuren wie Wunden. Spuren wie Lichtblicke. Spuren, die ich hinterlassen habe. Hilfreiche Spuren. Hemmende Spuren. Dieses Spuren-Bild ist für mich eine Einladung, zu erspüren: Was bleibt von meinen Spuren, die ich leichtfüßig und beschwingt oder auch mit einer schweren Last auf dem Buckel hinterlassen habe?

Schwester Herlindis wird heute nach neun Jahren Amtszeit als Oberin des St. Josefs-Krankenhauses verabschiedet. Wie viele Wege ist sie in diesen neun Jahren in diesem Haus gegangen. Trepp auf, Trepp ab, von Zimmer zu Zimmer. Viele Wege zu Konferenzen, zu Verhandlungen mit Behörden, Ärzten und Krankenhausdirektoren, in die Kapelle, in die Krankenzimmer, in die Zimmer ihrer Mitschwestern, zu Krisensitzungen und zu großen Festanlässen und Feiern. Ich glaube, es wäre nicht in ihrem Sinn, ihren Spuren, die sie an den verschiedenen Stationen ihres Wirkens und hier in diesem Haus gesetzt hat, in diesem Gottesdienst zu folgen. Sondern diese Stunde heute zu nutzen, uns auf eine entscheidende Lebensfrage einzulassen, die jeden von uns früher oder später beschäftigt: Was bleibt von den Spuren, die ich im Lauf meines Lebens auf diese Erde gesetzt habe?

Bei unserem Schweinfurter Dichter Friedrich Rückert fand ich den Vers:

Du bringst nichts mit hinein
du nimmst nichts mit hinaus,
lass eine goldene Spur
im alten Erdenhaus.


Danach sehnt sich doch jeder Mensch, eine „goldene Spur“ auf dieser Erde zu hinterlassen. Ein Schreckensbild ist, wie es bei Dante zu lesen ist: „Du lässt auf Erden keine anderen Spuren als Rauch in Lüften oder Schaum auf Wellen“. Und die Klage, die englische Forscher bei einem afrikanischen Stamm über die Vergänglichkeit des Lebens gefunden haben, bewegt mich:

Und dann kommt der Wind, um auszuwischen die Spuren unserer Füße.

Der Wind wirbelt Staub auf und bedeckt die Spuren, die bleiben, wo wir gegangen.

Aber wie tut man das, dass etwas Leuchtendes und Schönes, eine „goldene Spur“ von uns zurückbleibt?
Meist schauen wir auf große Namen und meinen, wenn du eine Spur auf dieser Erde hinterlassen willst, dann müsstest du ein großes Werk schaffen, auf das bewundernd geschaut wird und von dem geredet wird. Du müsstest eine Stellung finden, auf der dir Bedeutung, Würden und Weihen winken, du müsstest dir mit spektakulären Projekten einen Namen machen. Aber wie ist es dann mit den Vielen, die keinen Namen in dieser Welt haben, die keinerlei Denkmal bekommen, die bei den Menschen bald vergessen sind? Wie ist es mit diesen vielen Verborgenen?

Es gibt eine goldene Doppel-Spur, die wie eine Goldader im Gestein den Augen der Menschen oft verborgen bleibt, die aber vor den Augen Gottes leuchtet:
Ich glaube fest daran: Überall, wo ein Mensch sich selbst, das heißt seine Fähigkeiten, aber auch seinen Grenzen ernst nimmt und ihnen gemäß lebt. Überall, wo er vor seinen Aufgaben und Herausforderungen nicht einfach ausreißt. Überall, wo ein Mensch innerlich spürt, da darfst du dich nicht drücken oder deinen Kopf faul und feige aus der Schlinge ziehen. Überall, wo ein Mensch sagt, das ist mir wichtig und heilig und durch nichts lasse ich mich davon abbringen und vor keinem werde ich mich mit irgendwelchen Absichten verrenken oder verbiegen, da leuchtet diese Goldspur vor Gott und wird auch einmal vor allen Menschen sichtbar sein.
Und ich glaube fest daran: Überall, wo ein Mensch Ernst damit macht, in die Fußstapfen Jesu zu steigen und in der Spur Jesu zu gehen versucht, da hinterlässt er eine goldene Spur vor den Augen Gottes. Es genügt, einer einzigen Spur Jesu zu folgen, von der uns so viele im Evangelium vorgestapft sind, und es zu wagen, meinen Schritt in diese Spur Jesu hineinzulegen und sie in mein Leben weiter zu entfalten. Für Sie, Schwester Herlindis, ist eine solche Spur das Gleichnis vom Weizenkorn. Für Sie sind die Worte Jesu: Wer an seinem Ego krampfhaft festhält, der verliert sein Leben und verfehlt letztendlich seinen Lebenssinn. Wenn einer mir dienen will, dann laufe er in meiner Spur, Goldkörner, die einen Schatz im Leben darstellen und nicht nur das eigene Leben bereichern, sondern auch das meiner Mitmenschen.
Und ich glaube fest daran, wenn ein jeder von uns sein Ohr nahe am Wort des Evangeliums hat, stößt er auf solche Goldkörner, die ihm immer neue Wegweisung geben und seine Spur zu einer goldenen Spur nicht nur in den Augen Gottes, sondern auch in den Augen der Menschen werden lassen. Und diese goldene Spur muss nicht auf den Hauptstraßen der Öffentlichkeit liegen, sondern befindet sich meist auf den Wegen und Gassen, die Menschen in meiner Umgebung mit mir gehen.

„Bezeugen wir unseren Glauben der Welt, dass er als Liebe erscheint, damit die Welt glauben kann“. Mit diesem Satz hat gestern Abend Papst Benedikt in Regensburg seine Predigt in der ökumenischen Vesper beschlossen. Wenn Christen dazu fähig sind, wird eine goldene Spur bleiben.


Pfarrer Stefan Mai

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