Schmutzfink oder Saubermann?

Predigt zu Mk 7,1-23 (B/22)

Einleitung

Dreck hat keine Chance in unserer Gesellschaft. Wir rücken ihm mit wahren Wundermitteln zu Leibe. Auf allen Gebieten: im Bad, in der Küche, in der Waschmaschine, auf Parkettöden und Fliesen. Immer stärkere Wirkung wird versprochen, aber auf natürlicher Basis. Schmutz ist kein Problem: Mit Klarspüler und Pril, mit Persil und Meister Propper bringen wir das schon hin.
Und trotzdem gibt es viele Menschen in unserer Gesellschaft, die sich „dreckig“ fühlen und denen es „dreckig“ geht. Dafür fehlen uns leider die „Mittel“.

Predigt

Die Mutter ruft ihre beiden Buben zu Tisch. Als sie die Suppe schöpft, fällt ihr Blick auf die Hände der beiden. „Marsch, ab ins Bad mit euch! Ich habe euch schon hundertmal gesagt: Vor dem Essen werden die Hände gewaschen!“ – „Die Hose kannst du aber nicht mehr anziehen, wenn du jetzt in den Musikunterricht gehst.“ Da nützt alles Sträuben nicht: Erst wenn die saubere Hose angezogen ist, gibt die Mutter Ruhe. – „Noch draußen vor der Türe die Schuhe ausziehen!“, ruft die Mutter schon von oben, als sie sieht, wie ihre Helden vom Spielplatz nach Hause kommen. „Sonst tragt ihr mir den ganzen Sandkasten ins Wohnzimmer.“ – Aber trotz aller Reglementierung: Der Trieb, richtig im Dreck wühlen zu dürfen, lässt sich bei Kindern einfach nicht austreiben. Und dafür gibt es ‚Ausnahmeregelungen: In Kindergärten wird viel Geld ausgegeben für sogenannte Matschbänke. In Sonderstunden dürfen die Kinder dann richtig im den Dreck wühlen, aber natürlich nur in eigens für solche Zwecke vorgesehener Schutzkleidung: in Matschhosen. Die werden dann nach Gebrauch schön abgespritzt und bis zur nächsten Matschparty im Keller des Kindergartens fein säuberlich aufbewahrt.
Das ist typisch für unsere Zeit: Es gibt eine klare Trennung zwischen rein und unrein. Es gibt eine klare Unterscheidung, wann es erlaubt ist, sich dreckig zu machen, und wann nicht. Wer sich nicht an diese klaren Regelungen hält, wird gerügt oder zählt zu den Schmutzfinken, mit denen man nichts zu tun haben will.
Jesus hat den Ruf eines Schmutzfinken. In seiner Zwölferbande ist es sicher nicht gerade pikfein zugegangen. Sie waren ja auch ständig unterwegs, mussten im Freien schlafen. Und die Wege in Galiläa staubten gewaltig. Wie da die Füße ausgesehen haben, möchte ich nicht wissen. Im perlweißen Gewand kann ich mir Jesus jedenfalls nicht vorstellen.
Im heutigen Evangelium wird Jesus scharf angegriffen: Er nimmt es mit der Sauberkeit zu wenig genau. Das gefällt den Pharisäern nicht. Sie halten sich an uralte Vorschriften. Vor dem Essen waschen sie sich die Hände. Wenn sie vom Markt nach Hause kommen, essen sie nicht, ohne sich vorher zu waschen. Sie haben genaue Vorschriften zu befolgen, wenn es um das Spülen von Bechern und Krügen geht. Und sie fragen Jesus deshalb: „Warum halten sich deine Jünger nicht an die Überlieferung der Alten, sondern essen mit unreinen Händen?“ Aber Jesus gibt nicht klein bei. Er nutzt die Chance zu einer wahren Volksbelehrung – und dreht den Spieß um. „Hört mir alle zu“, sagt er, „begreift, was ich euch sage. Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern nur, was aus dem Menschen herauskommt. Das macht ihn unrein. Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken: Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Betrug, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft. All dies Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein“ (Mk 7,14f.21).
Damit ist alles auf den Kopf gestellt. Reinheit ist für Jesus durchaus ein Wert, aber in einem hintergründigen Sinn. Reinheit hat für Jesus nichts zu tun mit Sauberkeit von Kleidern, mit gewaschenen Händen oder sauberem Geschirr. Reinheit hat für Jesus nichts zu tun mit einem Sauberkeitsknigge. Reinheit ist für Jesus eine Sache der Einstellung und des Verhaltens andern gegenüber. Wer über den anderen herzieht und kein gutes Haar an ihm lässt, der macht sich nach Jesus dreckig. Der Volksmund folgt ihm darin und meint: So einer ist „eine Dreckschleuder“. Wer meint, selber immer eine „weiße Weste“ zu tragen und deshalb „die dreckige Wäsche anderer wäscht“, der macht sich nach Jesus unrein. Darauf will uns Jesus aufmerksam machen: Die größten Umweltverschmutzer lauern in uns selbst: die unausgesprochenen Gefühle; wenn ich dem anderen sein Glück nicht gönne – und ihm dann doch süß zulächle; wenn ich in meiner Arroganz über andere, denen ich mich überlegen fühle, die Nase rümpfe und sie als Dummerchen behandle das; was schon lange in mir kocht – und dann plötzlich „haut’s den Deckel raus“. „Das, liebe Leute, meint Jesus, ist es, was euch wirklich dreckig macht“.
So gesehen ist Jesus ein echter Reinheitsfanatiker. Von den anderen als Schmutzfink abgestempelt, kontert er zurück: Ihr die ihr meint, weiße Westen zu tragen, habt vielleicht mehr Dreck am Stecken als ihr denkt. Und er nimmt diejenigen in Schutz, die von den angeblichen Saubermännern in den Dreck gezogen werden.

Fürbitten

„Du sollst sein wie ein Fenster, durch das Gottes Liebe in die Welt hineinleuchten will. Die Scheibe darf nicht stumpf und schmutzig sein, sonst verhinderst du das Leuchten Gottes in der Welt.“ So schrieb einmal die heiliggesprochene Karmelitin Edith Stein. Deshalb rufen wir zu Gott:

V: Um Respekt vor den Menschen
A: bitten wir dich.


– um Anerkennung des guten Willens eines jeden
– um einen Blick für die guten Seiten eines jeden
– um Nachsicht bei Fehlern
– um Vorsicht im Urteil
– um Rücksicht mit Schwächen anderer
– um Mitgefühl in schwierigen Lebenslagen
– um Geduld mit anderen
– um Verantwortungsgefühl für andere


Pfarrer Stefan Mai

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