Die Kultur der Dankbarkeit

Predigt zum 20. Sonntag im Jahreskreis (Eph 5,15-20)

Predigt

Nach wie vor steht in unserem Anstandsknigge das Wörtchen „Danke“ hoch im Kurs. Wenigstens von der Anzahl der Nennungen her. Wie oft werden Kinder im Sinn einer guten Erziehung gefragt: „Na, wie sagt man denn?“ oder „Hast du auch Danke dafür gesagt?“ Wie oft werden Kindern von ihren Eltern an die Dankbarkeitspflicht erinnert: „Vergiss nicht, dich zu bedanken!“ Wie selbstverständlich ist dieses Wörtchen im geschäftlichen und gesellschaftlichen Bereich geworden. Die Verkäuferin ist darauf gedrillt, es jedem Kunden zu sagen und beim Einstecken seines Kassenzettels liest er nochmals darauf die Worte: „Vielen Dank für Ihren Einkauf“ oder „Vielen Dank für Ihren Besuch“.
Danke sagen gehört in unsren Breiten zu den guten Manieren und doch habe ich oft, wenn ich dieses Wort höre, ein ungutes Gefühl. Ich sehe so manches Mal in diesem Wörtchen „Danke“ eine andressierte Pflichterfüllung, Schöntuerei und Geschäftstüchtigkeit versteckt und frage mich eher skeptisch: Ist wirklich in uns Menschen eine echte Kultur der Dankbarkeit gewachsen? Ich frage mich dies, wenn Kinder ihre langen Wunschzettel zu Weihnachten, am Geburtstag oder zur Erstkommunion mit einem Anspruch auf Erfüllung schreiben und wie enttäuscht sie dann sind, wenn nicht alle Wünsche auf einem Schlag erfüllt werden. Ich frage mich dies, wenn sich mehr und mehr in die Menschenherzen der Anspruch auf ein unglückfreies und angenehmes Leben einschleicht. Wie knabbert dieses Anspruchsdenken und das Diktat des „Immer mehr haben Wollens“ an einem dankbaren Herzen.
Diese Gefährdung einer echten Kultur der Dankbarkeit spürte der Schriftsteller Max Frisch. In seinem Tagebucheintrag vom 1.Juli 1969 meint er, es gäbe leider keine Instanz und keine Behörde, die von uns jährlich eine Liste der Dankbarkeit verlangt. Er stellt dann für sich eine lange Liste zusammen, wofür er danken möchte, würde von ihm binnen einer Woche eine solche Liste verlangt. An erster Stelle spricht der Dichter von seiner Mutter, gleich an dritter Stelle vom frühen Tod des Vaters. Begegnungen und Freundschaften tauchen auf seiner Liste auf, die Erfahrung der praktischen Armut und „eine leichtsinnige Gesundheit“. Frisch dankt für die guten Nachbarn im Dorf und dass er Vater sein darf und noch träumen kann. So entsteht eine höchst persönliche Dank-Litanei.

Eine solche Danklitanei ist nicht einfach so dahergesagt. Sie ist alles andere als aalglatt. Hinter einer solchen persönlichen Danklitanei steckt die Erfahrung, dass auch das Schwere im Leben seinen Platz hat und dass Erlebnisse, die man als Querschläger unzumutbar empfand, sich manchmal als Segen entpuppen können. Max Frisch weiß: Die Kultur der Dankbarkeit wächst, je mehr das Schöne, das Gute und die glücklichen Stunden nicht als Selbstverständlichkeit empfunden werden. Aber am Schluss seiner Tagebuchnotiz meint er resigniert: „Wer aber will schon von unserem echten Dank wissen?“ Am Schluss heißt es: „Die Instanz gibt es nicht, die unsere Dankbarkeiten wissen will, ihren derzeitigen Stand, ihren Verbrauch, ihre Zunahme...“

Doch, es gibt diese Instanz, meint die heutige Lesung aus dem Epheserbrief. Sie fordert auf: „Singt und jubelt aus vollem Herzen zum Lob des Herrn! Sagt Gott, dem Vater, jederzeit Dank für alles im Namen Jesu Christi, unseres Herrn!“
Diese Kultur der Dankbarkeit mit dem Adressaten Gott möchte jeder Gottesdienst pflegen und vertiefen. Es ist kein Zufall, dass es im Gloria gleich zu Beginn des Gottesdiensts heißt: „Wir sagen dir Dank ob deiner großen Herrlichkeit“ und dass wir in der Gabenbereitung zum Ausdruck bringen: Wir bringen mit Dank zum Altar, was wir von Gott empfangen haben. Und ganz bewusst ist am Höhepunkt der Eucharistiefeier die Dankbarkeit genau adressiert: “In Wahrheit ist es würdig und recht, dir immer und überall zu danken ...“ Und eine der schönsten Präfationen in unserem Messbuch ist überzeugt: Gott verlangt nicht im Sinne einer Steuererklärung vor dem Finanzamt eine Dankbarkeitsliste, dass er etwas davon hat. Nein, es heißt: „Du bedarfst nicht unseres Lobes, es ist ein Geschenk deiner Gnade, dass wir dir danken. Unser Lobpreis kann deine Größe nicht mehren, doch uns bringt er Segen und Heil.“ Gott zu danken, ist keine lästige Pflicht, sondern macht das Leben schöner, tiefer und entkrampfter.

Liebe Leser! Unter diesem Gesichtspunk betrachtet, könnte der sonntägliche Gottesdienst ein wichtiger Pfeiler einer echten Kultur der Dankbarkeit sein. Und es wäre sicherlich eine gute Einstimmung, auf dem Weg zum Gotteshaus hin und da über unsere persönliche Liste der Dankbarkeiten nachzudenken, sie mit in den Gottesdienst zu nehmen und sie in unsere Lieder und Gebete hineinzulegen.

Fürbitten

Wir wollen Gott heute unsere Fürbitten vortragen im Wissen, dass er der Geber alles Guten ist. Ihm gilt nicht nur unsere Bitte, sondern auch unser Dank.

(Wir antworten mit dem Ruf: Herr, gib uns ein dankbares Herz


Dass Gott die Augen der Menschen öffnet für seine Güte und ihre Herzen empfindsam macht für die oft geheimnisvollen Wege seiner Vorsehung

Dass Gott Menschen löse von aller Selbstbefangenheit und ihnen die Kraft gibt, anderen Gutes zu tun

Dass Gott die Menschen befreit von aller übertriebener Sorge und sie aus dem Wissen Zuversicht schöpfen lässt, dass ihr Leben in seiner Güte geborgen ist

Dass Gott uns alle, die hier sind, unbefangen macht, das Gute, das andere uns tun, in Dankbarkeit anzunehmen.


Pfarrer Stefan Mai

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