Sich gegenseitig erinnern

Predigt zum Pfarrfest in St. Maximilian Kolbe 2006

Predigt

Martin Buber erzählt in seinen chassidischen Geschichten eine seltsame Begegnung des Rabbi Naftali aus Ropschitz:
Die Reichen der Stadt Ropschitz, deren Häuser einsam oder am Ende des Ortes lagen, beauftragten Wächter, um nachts ihren Besitz zu schützen. Als Rabbi Naftali eines späten Abends am Rande des Waldes spazieren ging, begegnete er einem der Wächter. „Für wen gehst du?“, fragte ihn der Rabbi. Der Wächter nannte den Namen des Auftraggebers, fügte aber die Gegenfrage hinzu: „Und für wen geht Ihr, Rabbi?“ Das Wort traf den Gelehrten wie ein Pfeil. „Noch gehe ich für niemanden!“ stammelte er. Lange schritt er schweigend neben dem Wächter einher. „Willst du mein Diener werden?“, fragte er endlich. „Das will ich gern“, antwortete jener, „doch was habe ich zu tun?“ „Mich zu erinnern“ sagte Rabbi Naftali.

Eine sonderbare Geschichte. Rabbi Naftali durchzuckt diese Frage, mit der er konfrontiert wird: „Für wen gehst du?“ Jahrelang hatte er sich mit dem Studium der Schrift befasst, sich mit dem Wort Gottes beschäftigt, es zig-mal seiner Gemeinde ausgelegt. Er meinte selbstverständlich, Gott sei die Mitte seines Lebens. Jetzt wird er unsicher. Gehe ich wirklich für Gott, stehe ich wirklich mit meinem Reden und Tun für ihn ein? Und er spürt, er braucht Menschen, die ihn immer wieder daran erinnern, für wen und für was er mit seinem Leben gehen soll.

Ich frage mich oft: Was ist eigentlich der Sinn einer Pfarrgemeinde. Ich glaube: Diese chassidische Geschichte von Rabbi Naftali bringt es auf den Punkt. Mich zu erinnern, das ist Sinn einer Pfarrgemeinde.
In einer Pfarrgemeinde braucht es solche Wächter, die uns durch ihren Lebensstil fragen: Für wen gehst du? Wir brauchen diese Menschen, die ohne etwas zu sagen in unseren Reihen die Frage nach Gott wach halten. Wir brauchen diese Menschen vor allem dann, wenn wir selber ins Zweifeln kommen. Dann brauchen wir diese Menschen, die unerschütterlich und egal, was ihnen im Leben passiert ist, ausstrahlen: Gott ist und bleibt mein letzter Halt. Es braucht diese Menschen, die den Glauben mit mir teilen, gerade in einer Zeit, in der Glaube klein geschrieben wird – und die großen Wörter anders heißen:

Wirtschaftswachstum, Erfolg, Effizienz, Mobilität, Anpassung. Es braucht die Menschen, die mich spüren lassen: Wer glaubt, ist nie allein.

In einer Pfarrgemeinde braucht es Wächter, die spüren: Da braucht einer Hilfe. Da braucht es Leute, die ohne große Worte zu machen, Nachbarschaftshilfe leisten, ein Auge darauf haben, ob die alte Frau von Gegenüber am nächsten Tag die Rollläden noch hochzieht, die einmal fragen: Ich gehe zum Einkaufen. Kann ich Ihnen etwas mitbringen? Und die eine Pfarrgemeinde daran erinnern: Habt ihr schon gemerkt, wie unsicher oft junge Eltern bei der Kindererziehung sind und sich fragen: Was soll ich meinem Kind gönnen? Wo muss ich „Stop!“ sagen? Wozu soll ich sie animieren? Wovor warnen? Wovor schonen? Kann Erziehung zur Menschlichkeit noch vor der Leistungsbrutalität unserer Gesellschaft bestehen? Es reicht nicht, über die Kinder von heute den Kopf zu schütteln. Es braucht die Wächter, die uns daran erinnern: Junge Eltern brauchen Verständnis, neue Orientierung und Hilfe.

Es braucht die Menschen in einer Pfarrgemeinde, die ihren Mund aufmachen zum Gotteslob, die froh von Herzen singen und mich daran erinnern: Es gibt einen Grund zur Dankbarkeit. Es ist ein Geschenk, frohen Herzens Gott unverzweckt loben zu können.

Gott sei Dank gibt es diese stillen Wächter in unserer Pfarrgemeinde: Frauen und Männer, die ohne viel zu reden uns an Gott erinnern, die ein Auge haben für versteckte Not und die in großer Treue durch ihr Gebet das Gotteslob in unserer Gemeinde mittragen. Und diese stillen Wächter gibt es auch unter den Toten, die in den vergangenen 25 Jahren unserer Pfarreigeschichte unter uns gelebt und zu uns gehört haben: „Still und leise“ steht als Motto an dem Glasfenster, von dem uns bekannte Gesichter entgegenschauen. Und jede und jeder von ihnen kann uns eine Predigt halten.


Und wenn wir an unserer Kirche vorbeigehen oder den Kirchenraum verlassen, fragen sie uns ohne Worte: Für wen gehst du?

Fürbitten

Pfarrer:
Herr, unser Gott, in vielen Formen und auf verschiedenen Wegen möchten wir in unserer Gemeinde die Erinnerung an dich wach halten. So tragen wir durch Vertreter und Vertreterinnen der verschiedenen Sachausschüsse unsere Bitten vor dich hin:

VertreterIn aus dem Liturgieausschuss

Dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden. Liturgie ist Höhe und Quelle christlichen Lebens. Das sind Grundsätze unserer christlichen Tradition.
Gott, wir bitten dich, lass uns spüren, dass es ein Segen ist, dich in unseren Gottesdiensten zu loben und zu preisen, und lass uns auch erfahren, dass dein Wort für unser Leben Impulse setzen kann. Schenke allen, die sich um die Gestaltung der Gottesdienste in unserer Gemeinde bemühen, Freude an deinem Wort.

VertreterIn aus dem Familienkreis

Die Glaubensweitergabe an die nächste Generation ist eine entscheidende Frage in unseren Pfarrgemeinden.
Gott, schenke allen, die sich in unserer Gemeinde um die Vermittlung des Glaubens in den Familien, in unserem Kindergarten, in der Tauf-, Kommunion- und Firmkatechese bemühen, selbst Freude am Glauben, die nötige Sensibilität für die Fragen der Menschen und einen langen Atem.

VertreterIn aus dem Ausschuss Feste und Feiern

Eine christliche Gemeinde ist auch ein Ort, an dem Menschen sich treffen und kennenlernen, Beziehungen aufbauen und pflegen – und das Leben feiern.
Gott, lass die Verantwortlichen dafür Sorge tragen, dass unsere Pfarrgemeinde St. Maximilian Kolbe mit ihren Räumen, für Alt und Jung Möglichkeiten schafft, sich zu treffen, zu feiern, andere Menschen kennenzulernen und sich auszutauschen.

VertreterIn aus dem Eine-Welt-Kreis
Eine christliche Gemeinde darf sich nicht nur um sich selbst drehen, sondern soll auch den Blick über den eigenen Kirchturm hinaus auf die Sorgen und Nöte in der ganzen Welt bewahren.
Gott, wir bitten dich für die Missionsarbeit in Togo, Tansania und Brasilien, auf die wir durch unsere Aktionen aufmerksam machen und unterstützen.

VertreterIn aus dem Sachausschuss Senioren

Die hohe Überalterung unserer Gesellschaft wird für die Zukunft eine große Herausforderung und Aufgabe der Politik und auch der Kirchen sein.
Gott, wir bitten dich: Lass das Verständnis zwischen den Generationen und die Verantwortung füreinander wachsen. Hilf uns, dass wir den unterschiedlichen Interessen der Generationen in unseren Gottesdiensten und in unserem Pfarreileben Raum geben.

VertreterIn aus dem Sachausschuss Besuchsdienste

In jeder Gemeinde gibt es versteckte und offene Not, Einsamkeit und Isolation.
Gott, wir bitten dich nicht um ein neugieriges Auge, sondern um ein Auge, das sich von Not treffen lässt. Hilf uns, dass wir Wege finden, Menschen zu unterstützen, ohne sie bloßzustellen und abhängig zu machen.

VertreterIn aus dem Sachausschuss Öffentlichkeit

Unser Leben wird durch Medien bestimmt. Nicht immer findet Kirche mit ihrem Bemühen entsprechendes Echo und Interesse.
Gott, wir bitten dich: Hilf uns, die Anliegen der Kirche in der Öffentlichkeit präsent zu halten. Hilf uns aber auch, unterscheiden zu lernen: Wo wollen wir uns nur selbst präsentieren? Und wo ist unser Beitrag wirklich ein Anstoß für das gesellschaftliche Leben?

Gabenkorb des PGR

Mitglieder des Pfarrgemeinderates bringen einen großen Korb mit bunten Rollen zum Altar. Dabei wird das Lied Gl 534 gesungen. Die TrägerInnen des Korbes bleiben in der Mitte des Ganges stehen und ein PGR-Mitglied spricht am Ambo:
Gott, in unserem Pfarrgemeinderat sind Frauen und Männer mit unterschiedlichen Begabungen. Symbolisch mit diesem Korb tragen wir sie mit unserem guten Willen zum Altar. Lass sie zum Segen unseres Pfarrgemeindelebens werden.
Korb wird vor dem Altar abgestellt:
Gott, wir bringen dir mit diesem Korb auch viele unerledigte Aufgaben, die in den nächsten Jahren angegangen werden müssen.
Und wir bringen dir mit diesem Korb auch viele offene Fragen, für die wir noch keine Lösungen sehen.



Pfarrer Stefan Mai

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