Ohne System oder was die Situation erfordert?

Predigt zum 13. Sonntag im Jahreskreis (Mk 5,21-43)

Wenn ein Notarzt zu einem schweren Unfall mit mehreren Verletzten gerufen wird, dann muss er binnen ein paar Sekunden entscheiden, welcher der Verletzten seine Hilfe am nötigsten hat und wer sofort behandelt werden muss. Oft entscheiden Sekunden über Leben und Tod von Schwerverletzten. In dem Trubel, der Hektik und Tragik eines Unfallortes erfordert diese Einschätzung große Erfahrung und Kompetenz eines Unfallarztes.

Jesus ereilt im heutigen Evangelium eine Notfallmeldung. Ein Mann fällt Jesus zu Füßen, fleht ihn um Hilfe an und bettelt: Meine Tochter liegt am Sterben. Komm und leg ihr die Hände auf, damit sie wieder gesund wird und am Leben bleibt. Und Jesus macht sich sofort auf den Weg.
Aber dann komme ich nicht mehr mit. Jesus weiß, dass es mit dem Mädchen auf Spitz und Knopf steht – und er lässt sich dann aufhalten von einer Frau, die noch ruhig hätte warten können. Die paar Stunden bei einer schon seit zwölf Jahren dauernden, zwar lästigen aber nicht tödlichen Krankheit, hätten das Kraut auch nicht mehr fett gemacht. Und das Höchste: Jesus hat sogar noch Zeit, zu recherchieren, wer ihn da von hinten gepackt hat und lässt sich auf eine Diskussion mit der Frau ein, obwohl er doch genau weiß, ein paar Meter weiter wissen Menschen in ihrer Not nicht aus und ein und setzen ihre letzte Hoffnung auf ihn.
Jesus, alles andere als ein guter Notarzt, der genau einzuschätzen weiß, was die Situation erfordert!

Was will mir diese eigenartige Geschichte sagen? Eines ist sicher, sie will kein Ratgeber für Notärzte sein. Da würden wir sie gründlich missverstehen. Das heutige Evangelium will mich eher zum Nachdenken bringen über meine Lebensplanung und die Haltung, wie ich das Leben angehe.
Jeder von uns möchte, dass sein Leben zielstrebig verläuft. Das, was ich mir vornehme, soll in die Tat umgesetzt werden, möglichst ohne Hindernisse. Jeder hofft, dass nicht andauernd Querschüsse kommen, die mich aus der Bahn werfen oder andauernd meine Ziele durcheinander bringen. Und jeder weiß, wie zappelig man werden kann, wenn ich mir für den Tag etwas vornehme und etwas dazwischen kommt, was diesen Plan über den Haufen wirft oder die Durchführung kompliziert macht.


Diese Geschichte von dem sterbenskranken Mädchen und der blutflüssigen Frau will mir Mut machen zu mehr Gelassenheit. Sie will mir sagen, du brauchst nicht gleich durchzudrehen, wenn etwas nicht in deinen Plan passt, wenn etwas dazwischen kommt und dich scheinbar von deinem Ziel abbringt. Das gehört zum Leben. Sie will mich vor dem Kurzschluss bewahren, zu meinen, es geht alles schief, wenn Unvorhergesehenes dazwischenkommt. Sie will mich darauf hinweisen: In den meisten Fällen geht es doch noch gut aus, ja bringt sogar weiter als ich es mir ausgemalt habe. Und sie will mir wieder einmal sagen, was Meister Eckhard in die prägnante Formel brachte: „Die wichtigste Zeit ist der Augenblick. Der wichtigste Mensch ist der, mit dem wir es gerade zu tun haben. Das wichtigste Gefühl ist die Liebe, mit der wir den Menschen begegnen.“


Pfarrer Stefan Mai

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