Was hilft gegen die Angst?

Predigt zum 12. Sonntag im Jahreskreis (Mk 4,35-41)

Einleitung

In einer Tagebuchnotiz schreibt der dänische Religionsphilosoph Sören Kierkegaard, der sich intensiv mit dem Thema Angst auseinandergesetzt hat:
Ich möchte mein Leben gründen auf etwas, das mit der tiefsten Wurzel meiner Existenz zusammenhängt, wodurch ich sozusagen in das Göttliche eingewachsen bin, fest darin hange, wenn auch die ganze Welt einstürzt. Siehe, das eben fehlt mir, und dahin strebe ich ...

Predigt

Der amerikanischer Physiologe namens C. P. Richter experimentierte ein Leben lang mit Ratten. Dabei warf er eines Tages wilde Ratten in einen mit Wasser gefüllten Glaszylinder, aus dem sie nicht mehr entrinnen konnten. Ein Teil der Ratten starb binnen kurzer Zeit aus Schrecken und panischer Angst. Ein anderer Teil der Ratten konnte sich dagegen viele Stunden hindurch schwimmend über Wasser halten. Der Grund: Diese überlebenden Ratten hatte Richter schon einmal bei einem Vorversuch in den Glasbehälter geworfen, dann sie aber sogleich aus ihrer panischen Angst gerettet. Dem Forscher wurde durch dieses Experiment klar: Die einmal gemachte Erfahrung von Rettung und Hilfe befähigte die Tiere, in einer neuen Angstsituation nicht panisch und durchgedreht zu reagieren, sondern mit kühlem Kopf und Ausdauer die lebensbedrohliche Situation zu bestehen.

Als es Abend geworden war, sagte Jesus zu seinen Jüngern: Wir wollen ans andere Ufer hinüberfahren...Plötzlich erhob sich ein heftiger Sturm und die Wellen schlugen ins Boot, so dass es sich mit Wasser zu füllen begann. Er aber lag hinten im Boot auf einem Kissen und schlief. Sie weckten ihn und riefen: Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen
Ein makabres Experiment. Schickt Jesus seine Jünger auf den See, so wie der amerikanische Forscher die Ratten ins Glas warf, um sie das Fürchten zu lehren und panischen Schrecken einzujagen? Und was soll diese vorwurfsvolle Frage nach der Errettung: Warum habt ihr solch Angst? Habt ihr noch immer keinen Glauben?
Das zeigt wenig Einfühlungsvermögen in von Ängsten gepeinigten Kreaturen.

Ich verstehe die Reaktion Jesu besser, wenn ich weiß, was vor der Seesturmgeschichte im Evangelium passiert ist. Da hat Jesus seinen Jüngern Gleichnisse erzählt. Das Gleichnis vom Sämann, der voll Vertrauen den Samen ausstreut und nicht verrückt wird, weil drei Viertel seines Saatgutes nichts bewirkt. Das Gleichnis von der selbst wachsenden Saat, das einen in sich ruhenden Bauern beschreibt, der darauf vertraut, dass das gesäte Samenkorn sich Zug um Zug entwickelt und Frucht bringt, auch wenn er nichts Großes dazutun muss und nicht versteht, wie dieses Wunder alljährlich passiert. Und schließlich das Gleichnis vom kleinsten aller Samenkörner, dem Senfkorn. Welch ein Wunder, was aus ihm wird.
Mit diesen Gleichnissen wollte Jesus in seinen Jüngern das Vertrauen wecken und die Zuversicht stärken, dass Gott im Leben der Menschen am Wirken ist. Dass nicht sie die großen Macher sind, sondern er hinter allem steht. Er hatte gehofft, dass diese Glaubensgeschichten Mutmachgeschichten sind, die ihnen helfen, auch einmal raue Winde des Lebens und stürmische Wellen auszuhalten. Aber scheinbar hat dieses kleine Senfkorn Glaube und Hoffnung in den Herzen der Jünger keine Wurzel geschlagen. Und so verstehen sie es auch nicht, wie Jesus ruhig schlafen kann, während sie vor Angst vergehen und in Panik durchdrehen. Diesen Schlaf verstehen sie als Desinteresse und werfen Jesus vor, ihn kümmert es nicht, wenn sie draufgehen.

Aber Jesus geht kein Wort der Entschuldigung über die Lippen. Nichts von einem Wort des Bedauerns. Im Gegenteil, die Jünger bekommen einen Vorwurf zu hören: Warum seid ihr so feige, warum habt ihr immer noch keinen Glauben. Habt ihr von den Vertrauensgeschichten, die ich euch erzählt habe, denn gar nichts kapiert, und habt ihr an meinem Schlaf auf dem Kissen denn nicht gespürt, dass ein Mensch, der in seinem Glauben tief im Vertrauen auf Gott verankert ist, auch in stürmischen Lebensabschnitten nicht gleich durchdreht und Gott als einen Schläfer hinstellt, sondern auch in diesen Lebenslagen Kraft aus dem Glauben schöpft?

Liebe Leser, selbst durchgestandene Not und erfahrene Rettung aus der Not ist der beste Ratgeber in Angst und Panik.
Ich bin aber fest überzeugt, dass es auch für Menschen, die selbst vor allzu großem Leid und Schicksalsschlägen verschont geblieben sind, Vorbereitungs- und Lernhilfen für solche Situationen gibt. Nach dem Markusevangelium sind dies Mutmachgeschichten. Worte, die Trost und Hoffnung geben, die wie ein Rettungsanker sein können, an denen ich mich festhalten kann. Und es sind Menschen, die durch ihr Lebensbeispiel zeigen, wie Leid und hoffnungslose Situationen gemeistert werden können.
Das ist der Rat Jesu:
Hör auf solche Geschichten, lass sie in deinem Herzen Wurzeln fassen. Und schau auf vorgelebte Beispiele. Vielleicht sind sie auch für dich ein Hilfe, wenn die Stürme und Wellen des Lebens kommen.


Pfarrer Stefan Mai

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