Wandlung – nicht nur in der „Wandlung“

Schweinfurter Fronleichnamsprozession 2006

Einführung zum Evangelium Mt 14, 22-33 am Josef-Krankenhaus

„Wohl denen, die da wandeln...“ – so singen wir in einem bekannten Kirchenlied. Ein eigentümliches Wort in unserer deutschen Sprache für „wandern, gehen“ ist dieses doppeldeutige „wandeln“. „Wandeln“ kann einfach „wandern“ oder „durchs Leben gehen“ bedeuten. Es kann aber auch die tiefsinnige Bedeutung von „Wandlung“ bekommen.
Wir wandeln heute bei der Fronleichnamsprozession auf den uns bekannten Straßen Schweinfurts und denken dabei über das Thema „Wandlung“ nach.

Im Wandel befindet sich ständig die Natur. Tages- und Jahreszeiten sind nie „statisch“. Sie gehen ineinander über und lösen sich ab: Wandel als Grundgesetz des Lebens.
Der Wandlung unterworfen sind die meisten Lebensmittel auf unseren Tischen. Viele Wandlungsprozesse haben die Produkte mitgemacht, die wir täglich benutzen.
Wandlung erfahren wir Menschen selbst am eigenen Leib und in der eigenen Entwicklung.
Im Wandel befinden sich die Kirchen. Vieles deutet darauf hin: dieser Wandel ist keine kurze Übergangszeit, sondern begleitet künftig das kirchliche Leben als Grundmelodie.
Im Wandel befindet sich der Glaube. Lebenserfahrungen wandeln den Kinderglauben zum reifen Erwachsenenglauben. Gesellschaftliche Trends prägen neue religiöse Formen, Suchbewegungen und Sehnsüchte der Menschen.
Wir haben sie erst wieder gefeiert, Ostern und Pfingsten, die großen christlichen „Wandlungsfeste“: Gott wandelt nicht nur alle Wege mit uns. Sein Geist ist als Lebensatem auch stete Quelle des Wandels. Und in jeder katholischen Eucharistiefeier, so behaupten die Katholiken, ist die Wandlung der Höhepunkt des Gottesdienstes.

„Selig, die da wandeln...“ singen wir ganz locker, aber so leicht fällt uns die Wandlung in vielen Hinsichten nicht. Wir hören nun das Evangelium vom „Seewandel Jesu“. Von ihm lerne ich: Echte Wandlungen sind schwer. Sie passieren dort, wo Menschen Sicherheiten wie das Boot verlassen, nicht mehr rein Angst gesteuert reagieren und das tiefe Vertrauen haben dürfen: Ich werde nicht fallen gelassen.

Predigt

„Inkonsequent“ – diesen Titel gab Lothar Zenetti, der ehemalige Großstadtpfarrer von Frankfurt, einem seiner Gedichte. Es lautet:

Frag hundert Katholiken
Was das wichtigste ist
in der Kirche.
Sie werden antworten:
Die Messe.

Frag hundert Katholiken
Was das wichtigste ist
in der Messe.
Sie werden antworten:
Die Wandlung.

Sag hundert Katholiken
Dass das Wichtigste in
der Kirche die Wandlung ist.
Sie werden empört sein:
Nein, alles soll bleiben
wie es ist!


Ein bissiges und doch grundehrliches Gedicht. Eigentlich Irrsinn: In jedem Gottesdienst feiern wir Wandlung. Aber mit nichts tun wir uns schwerer, als wenn es um die Wandlung in der Kirche geht.
Vielleicht tun wir uns deswegen so schwer, vielleicht verstehen wir deswegen auch nicht, was in der Wandlung eigentlich passiert, vielleicht schweigen wir lieber über dieses große Geheimnis und bringen es in unseren Kommunionkatechesen kaum mehr zur Sprache – weil das, was mit „Wandlung“ gemeint ist, in unserem kirchlichen und persönlichen Leben nicht mehr verankert ist.
Jeder weiß, wie schwer es ist, sich zu verändern. Und oft genug tun wir so, als sei es das höchste Ideal, der oder die Alte zu bleiben. In der Kirche ist es nicht viel anders. Ein paar neue Lieder einführen oder wieder alte Frömmigkeitsformen ausgraben, da wandelt sich noch lange nichts. Kirchliche Reformen, an die wir uns herantrauen, sind meist Schönheitsoperatiönchen oder Nützlichkeitskonstrukte: Zusammenlegung von Pfarreien, um die alte Gestalt der Kirche zu erhalten, das ist noch lange keine „Wandlung“ im Sinn der grundlegenden Idee „ecclesia semper reformanda“, eine Kirche, die sich ständig wandelt. Ich behaupte: Wir tun uns heute so schwer, an die Wandlung in der Eucharistiefeier zu glauben, weil Wandlung wenig Realitätsgehalt und Bezug zum persönlichen und kirchlichen Leben hat.
Wenn ich ins Leben schaue und mir die Frage stelle: Wann wandelt sich der Mensch?, dann fallen mir aus meiner Lebenserfahrung nur wenige Gelegenheiten ein:
Der Mensch wandelt sich in Krisen, wenn er an eine absolute Grenze kommt. Wenn ihm alles davonschwimmt, wenn er nicht mehr ein und aus weiß, wenn er nicht mehr kann und spürt: So geht es nicht mehr weiter. Entweder ich ändere mich oder ich gehe drauf.
Der Mensch wandelt sich, wenn er verliebt ist. Aus Liebe ist er zu Dingen fähig, die er sonst nie tun würde. Aus Liebe zu einem Menschen arbeitet er an seinen Schattenseiten, aus Liebe bemüht er sich um Zuverlässigkeit, versucht in der Verantwortung für seine Familie seine Arbeit ernst zu nehmen, aus Liebe träumt er von Dingen, die sonst nie in seiner Sichtweite waren.
Und der Mensch ändert sich, wenn er keine Angst mehr hat, sein Gesicht zu verlieren. Wenn er aufhört, dauernd darüber nachzudenken, was die anderen von ihm halten, wie sie ihn sehen. Was würde ich tun, wenn ich keine Angst hätte? Ist eine berühmte Frage in einem Managerbuch, das überzeugt ist: Aus Angst halten viele Menschen verkrampft an alten Modellen fest und trauen sich nicht, neu zu denken.
Wenn ich auf die Kirche schaue und über das Veränderungspotential durch Krisen, Liebe und weniger Angst nachdenke, stelle ich mir die Frage:
Erstens: Ist für Kirche die Krise noch nicht groß genug? Ich weiß aus der Geschichte: Die großen Wandlungsepochen der Kirche waren immer Epochen totaler Krisen.
Zweitens: Ist Kirche zu wenig in den Menschen verliebt, so dass sie sich der Sache der Menschen annimmt, dass sie berührt ist von den Sorgen und Ängsten der Menschen und beflügelt wird von ihren Hoffnungen und Träumen?
Und drittens: Ist die Kirche zu angstbesetzt, zu sehr besorgt, ihr könnten die Felle davonschwimmen und versucht deshalb so krampfhaft, an Bisherigem und Altem fest zu halten?
Oder aber: Ist vielleicht echte Wandlung wirklich nur Gott möglich?
„Bei uns gibt es begabte Leute“, sagte der Gefängnisbeamte, als er den neuen Anstaltsgeistlichen durch das Haus führte. „Der Kleine dort malt ganz tolle Bilder.“ Im Dienstzimmer zeigte er so ein Bild in kühnen Farben: Zwölf Kerle blicken bestürzt nach oben: ihr Haar zerzaust. Ihre Gesichter in strahlendes Licht getaucht. Die Augen weit aufgerissen und riesengroß. Der Wachtmeister erklärte: „Pfingsten nennt er das Bild. Er hat es für die Kapelle gemalt. Aber der Chef hat es verboten, aufzuhängen, weil er nur Mitgefangene gemalt hat – und zwar die Allerschlimmsten, die richtig schweren Jungs!“
Später sprach der neue Pfarrer mit dem Maler: „Ich finde Ihr Bild aufregend. Aber warum haben sie nur Strafgefangene gemalt? Die Männer vom Pfingstfest waren fromme Leute!“ Das traf den Künstler. Er meinte aufgeregt: „Aber an Pfingsten ist alles anders geworden. Da ist eine Wandlung passiert. Denen, die an sich zweifeln, muss man zeigen, dass Wandlung und ein neuer Anfang möglich ist. Pfingsten ist ein Wunder. Die kleinen Fische, die kann die eigene Frau auch ändern. Manche ändert sogar der Knast. Aber die ganz großen, die kann nur Gott ändern!“ Man spürte, wie er mit sich kämpfte. Dann klopfte er wortlos an eine Stelle des Bildes. Da hatte er sich selbst hingemalt. „Die ganz großen“, wiederholte er, „die ändert Gott allein!“


Pfarrer Stefan Mai

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