Der Traum einer Beziehung

Predigt zum Dreifaltigkeitssonntag 2006

Vor ein paar Tagen bin ich auf ein nicht leicht verständliches, aber sehr tiefsinniges Gedicht von Rose Ausländer gestoßen. Es trägt die Überschrift „Liebe VI“ und lautet:

Wir werden uns wieder finden
im See
Du als Wasser
ich als Lotusblume
Du wirst mich tragen
ich werde dich trinken
Wir werden zusammengehören
vor aller Augen
Sogar die Sterne
werden sich wundern:
Hier haben sich zwei
zurückverwandelt
in ihren Traum
der sie erwählte


Ein Gedicht, das in kühnen Bildern den Traum von der Liebesbeziehung zweier Menschen beschreibt: Du als Wasser, ich als Lotusblume. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit passen und gehören zwei Menschen zusammen, wie Wasser und Lotusblume. Die innige Beziehung, die Bedeutung füreinander wird ausgedrückt mit den Versen: Du wirst mich tragen, ich werde dich trinken. Sehnsucht nach dem anderen und Geborgenheit durch den anderen.

Dieses Gedicht ist für mich nicht nur ein Gedicht, das in wunderschönen, einfühlsamen Worten eine gelungene Beziehung zwischen zwei Menschen beschreibt. Dieses hilft mir auch, das schwierige und letztlich mit dem Verstand nicht begreifbare Geheimnis des heutigen Dreifaltigkeitsfestes besser zu verstehen, die innige Beziehung zwischen Jesus und Gott: Du wirst mich tragen, ich werde dich trinken. Dieser Durst nach Gott brannte ein Leben lang in Jesus. Und sich von Gott getragen wissen, das war der Halt und Ruhepool seines Lebens.

Und es ist dieses Gedicht, das in meinem Herzen den Traum am Leben erhalten möchte, dass Gott auch für mich Wasser ist, das trägt und den Durst nach Sinn und Leben stillt und ich dadurch aufblühen kann wie eine Lotusblume. Welch ein Traum!

Wir werden uns wieder finden
im See
Du als Wasser
ich als Lotusblume
Du wirst mich tragen
ich werde dich trinken
Wir werden zusammengehören
vor aller Augen
Sogar die Sterne
werden sich wundern:
Hier haben sich zwei
zurückverwandelt
in ihren Traum
der sie erwählte


Pfarrer Stefan Mai

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