Gottes Geist auf neuen Wegen

Predigt zum Pfingstfest 2006

Einleitung

In der kirchlichen Szene wird heutzutage oft gejammert: Pfingsten ist einfach nicht mehr im Bewusstsein. Es ist zum Fest der Ausflüge geworden. Eigentlich kein Grund zum Jammern. Denn am Ursprung des Festes steht ein Wallfahrtsfest. Im Israel zur Zeit Jesu machen sich Menschen zu Scharen auf, um nach Jerusalem zu pilgern.
Und da bricht die Frage in mir auf: Ist vielleicht Gott selbst immer unterwegs?

Predigt

Pfingsten im Jahr 33 n. Chr. In Jerusalem

Schauplatz 1: Der Tempel


Wallfahrer strömen in Massen aus ganz Israel und den umliegenden Ländern zum Tempel. Das große Wallfahrtsfest Schawuot wird gefeiert. Das Fest zur Erinnerung an die Gesetzgebung am Sinai. Feierlich zieht der Hohepriester ein, schreitet zum Altar und bringt Opfer dar. Zeichenhaft versucht die Tempelliturgie, das Sinaigeschehen vor Augen zu führen: Die Weihrauchschwaden steigen zum Himmel und erinnern an die Wolke am Sinai. Und im Getöse der großen Posaunen kann man geradezu den Donner vom Berg Sinai hören, als Mose die Steintafeln übergeben werden. Feierlich wird dem Volk die Erzählung von der Gesetzgebung am Sinai vorgelesen und ausgelegt. Der Hohepriester tritt auf als der authentische Interpret der Stimme Gottes, und die Wallfahrer spüren: Gott hat auch mit uns seinen Bund geschlossen und wir sind sein auserwähltes Volk.

Schauplatz 2: Auf dem Flachdach eines Hauses, ganz in der Nähe des Tempels

Eine kleine Gruppe hockt verängstigt zusammen. Von Zweifeln und Ungewissheit geplagt. Sie sind unsicher, trauen sich nichts zu und wissen nicht, wie sie dran sind.
Und man erzählt sich: Plötzlich donnert es auch hier. Und zwar gewaltig. Plötzlich spukt es hier Feuer. Die Zungen gehen auf jeden nieder. Was dort im Tempel in der Liturgie feierlich zelebriert wird, geschieht hier in Natura: Ein neues Pfingsten. Wie Mose damals tritt jetzt Petrus vor das Volk und hält eine begeisternde Rede. Und von diesem Tag an fühlt sich diese Gruppe als das neue Israel. Heute nennen wir sie: Christen.

Liebe Leser, Pfingsten ist kein selbstherrliches Fest. Pfingsten stellt ein kritisches Korrektiv vor Augen. Pfingsten will das Wissen wach halten, dass der Glaube an Gott nicht automatisch in den festen Strukturen der Großkirchen mit ihren Hohenpriestern und selbstsicheren Verkündigern lebt, die meinen alles richtig zu interpretieren und Hüter der Wahrheit zu ein.
Pfingsten mit den Augen der Apostelgeschichte gelesen fragt uns: Vielleicht gibt es neben unseren großen Kirchen kleine Häuser, wo Gottes gewaltiger Geist zu wehen beginnt, Menschen verwandelt, Mut macht, neue Wege gehen lässt und Menschen begeistert.

Fürbitten

Herr, unser Gott, du bewegst die Herzen der Menschen. Wir bitten dich:

Für alle, die uns von dir erzählen
Für alle, denen es schwer fällt, dir und deinem Wort zu glauben
Für alle, die zweifeln und nicht wissen, was sie glauben sollen
Für alle, die vergessen haben, was sie jemals von dir gehört haben
Für alle, die sich von der Kirche entfernt haben und meinen, dich an anderen Orten leichter zu finden
Für alle Gemeinden, die sich darum bemühen, Orte lebendig zu halten, an denen Gott spürbar wird

Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn.


Pfarrer Stefan Mai

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