Nichts an Finsternis sprang ab

Predigt zum 3.Sonntag der Osterzeit

Das Ostergedicht von Reiner Kunze aus dem Jahr 1984 bringt die Empfindungen vieler Menschen von heute gegenüber der Osterbotschaft ins Wort:

Die glocken läuteten,/ als überschlügen sie sich vor Freude/
über das leere grab/
Darüber, daß einmal/ etwas so tröstliches gelang,/
und daß das staunen währt/ seit zweitausend Jahren/
Doch obwohl die glocken/ so heftig gegen die mitternacht
hämmerten - / nichts an finsternis sprang ab


Ja wir feiern 50 Tage lang in unseren Kirchen mit festlichem Geläut, festlicher Musik und frohen Hallelujagesängen das zentrale Geheimnis unseres Glaubens, das Fest der Auferstehung Jesu. Auf Reiner Kunze wirken die Glocken der Osternacht als wollten sie sich vor Freude überschlagen, dass einmal in der Menschheitsgeschichte so etwas Tröstliches gelang, dass das Leben über den Tod triumphiert. Und er findet es erstaunlich, dass diese Botschaft seit zweitausend Jahren nicht tot zu kriegen ist. Aber resignierend stellt er fest: Trotz dieser Botschaft, trotz des lauten Hämmerns der Glocken in der Osternacht zum Gloria: Nichts von der Finsternis im Herzen springt ab.
Einfühlsam bringt Reiner Kunze mit diesen Versen die Sehnsucht heutiger Menschen ins Wort: Ja wie gerne möchte ich etwas vom Geheimnis der Botschaft von der Auferstehung Jesu in meinem Leben spüren. Aber ich kann es nicht. Die Finsternis so vieler Zweifel und Fragen werden nicht zerstreut und die vielen Steine, die Menschen auf dem Herzen liegen, werden nicht weggerollt.

Sie hörten die Botschaft am leeren Grab: Er ist nicht hier. Und sie erschraken. So erzählt Markus die Reaktion der drei Frauen am Grab. „Sie erschraken und hatten Angst“, so schildert der Evangelist Lukas die Reaktion der Jünger, als Jesus in die Mitte der Jünger tritt und den Frieden wünscht. Ja auch auf die Osterevangelien trifft es zu: „Obwohl die Osterbotschaft so heftig gegen die Mitternacht hämmerte, „nichts an Finsternis sprang ab“.
Die Zeugen der Osterbotschaft waren nicht leichtgläubig, sie waren nicht leicht zu überzeugen. Aber sie taten eines: Sie nahmen die Unruhe, die die seltsame Botschaft vom leeren Grab in ihren Herzen hinterlassen hat, ernst und waren in allem Zweifel und Unglauben offen für neue Erfahrungen und Begegnungen. Sie nahmen ernst, was ihnen da „dazwischen“ kam.
Sie versteiften sich nicht auf die Rolle des Skeptikers: Das hat es noch nie gegeben, das kann es nie geben, sondern teilten einander ihre Ratlosigkeit und Verunsicherung mit, tauschten mit Menschen ihre persönlichen Lebenserfahrungen aus, auch wenn sie nicht wussten, was soll das alles bedeuten.
Und sie reden den Zweifel nicht einfach weg oder tünchen in frommer Manier den Unglauben zu, sondern lassen sich und anderen Zeit. Sie brauchen immer wieder neue Begegnungen, um zu spüren: An dieser Auferstehungsbotschaft ist was dran. Die Zweifel des Thomas werden nicht einfach durch die Glaubenserfahrung anderer ausgeräumt, sondern Thomas wird ermutigt, seine eigenen Erfahrungen mit dem Auferstandenen zu machen. Und auch die Elf brauchen im heutigen Evangelium ihre eigene Erfahrung. Es reicht ihnen nicht, wie die Zwei erzählen, dass ihnen Jesus auf dem Weg nach Emmaus dazwischen kam.

Innere Unruhe – ernst nehmen, wenn etwas im Leben „dazwischen kommt“ – der Austausch über Lebens- und Glaubenserfahrungen, Sehnsucht nach eigenen Erfahrungen, die den Glauben im Leben verorten, das waren für die nicht leichtgläubigen Freunde und Freundinnen Jesu der Zugang zur Osterbotschaft. Ich sehe auch für uns keinen anderen Weg.


Pfarrer Stefan Mai

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