Das Wunder der Eucharistie

Katholische Morgenfeier zum Weißen Sonntag am 23. April 2006

Szene 1

„Guten Morgen, mein Schatz. Heute ist dein ganz großer Tag“, mit diesen Worten empfängt die Mutter ihren Stefan am liebevoll gedeckten Frühstückstisch. Das beste Geschirr darauf. Stefans Platz ist mit einem Blumenkranz dekoriert, in der Mitte steht die Festkerze zum großen Tag mit Brot und Rose verziert. Im Hintergrund erklingt auf dem CD-Player das Lied „Wenn das Brot, das wir teilen als Rose blüht“. Stefan hat es oft in der Kommuniongruppe gesungen.

Gruppe Effata, Wenn das Brot, das wir teilen

„Dein Erstkommuniontag ist ein ganz großer Tag für dich und für uns. Ich hoffe, dass du ihn nie vergessen wirst“, fährt die Mutter fort. „Es wird ein ganz besonderer Augenblick für dich sein, wenn du heute im Gottesdienst Jesus im heiligen Bot empfängst. Schließ dann die Augen und stell dir vor: Jetzt ist mir Jesus ganz nah. Mit ihm möchte ich ein Leben lang verbunden bleiben. Pass schön auf, was der Pfarrer euch heute sagt. Er hat sich ja in der Vorbereitung so viel Mühe mit euch gegeben. Und lass dich vom frechen Laurenz nicht durcheinanderbringen.“ Stefan nickt.
Nach dem Frühstück zieht Stefan sein neues Hemd an, freut sich auf die Fliege, die er sich aussuchen durfte. Er strahlt in seinem funkelnagelneuen Anzug und den schwarzen Lackschuhen. Mama und Papa haben vor Rührung Wasser in den Augen: „Ein schöner Bub bist du!“ Sein Papa holt das neue Gesangbuch in Goldschnitt und zeigt ihm die Widmung, die er seinem Sohn in Sonntagsschrift auf die erste Seite geschrieben hat. Es klingelt. Oma Rosa und Tante Irene, die Patin, sind gekommen. Vorsichtig packt die Patin das kleine Goldkreuzchen aus, das sie eigens hat weihen lassen, und hängt es Stefan um. Und die Oma steckt ihm einen Rosenkranz mit weißen Perlmuttkügelchen in die Tasche. Die Kirchenglocken beginnen zu läuten. Mama, Oma und die Patin geben Stefan noch einen Kuss. Papa hat die Kommunionkerze geholt und gibt sie seinem Sohn in die Hand. Und sie machen sich auf den Weg zur Kirche.

So oder so ähnlich stellen sich die meisten von uns den Beginn eines Erstkommuniontages vor. Vielleicht werden bei Ihnen Erinnerungen an früher wach. Aber wenn ich mir die Familien der Kinder aus meiner Gemeinde vor Augen stelle, muss ich sagen: Dieser besondere Tag beginnt in vielen Familien ganz anders. Die Empfindungsskala diesem besonderen Tag gegenüber ist bunt und vielfältig geworden, so wie unsere Gesellschaft.

Szene 2

Sprecherin: „Alex, fall mir bloß heut in der Kirche nicht auf. Mach einfach mit, was die anderen so machen. Du weißt doch, wir gehen sonst nie in die Kirche. Die Leute gucken uns sowieso ganz schief an, als gehören wir nicht dazu. Also Alex, ich bitte dich, sei brav und führ dich ordentlich auf. Von der Oma bekommst du dafür extra 50 Euro. Das mit der Kirche geht schon rum. Ein Gesangbuch ist uns zu teuer. Und ab morgen gehst du eh nie mehr in die Kirche. Das wäre nur rausgeschmissenes Geld. Wenn das heute morgen mit der Kirch’ rum ist und alles gut überstanden ist, dann geht’s bei deiner Feier rund. Du weißt doch, du hast dir dein Lieblingsgericht bestellen dürfen. Und du wirst Augen machen, was Oma und Opa, Onkel Richard und dein Pate für Geschenke mitbringen. Also Alex, bitte mach uns heute keine Schande!“

Gruppe Effata: Leuchtfeuer 16 „P1 – Meditation“

Szene 3

„Mama, kommt der Papa heut auch zum Gottesdienst und zu meiner Kommunionfeier?“, fragt Ann-Kathrin. „Warum sollte er kommen, in den letzten Jahren hat er sich doch auch nicht für dich interessiert.“ „Aber die anderen haben auch ihren Papa dabei.“ „Jetzt lass mich endlich in Ruh’ mit deinem Papa, der würde mir die ganze Festtagsstimmung versauen. So tun als ob, das würde mir gerade an diesem Tag noch fehlen.“ „Kann ich etwas dazu, dass ihr euch zerstritten habt? Ich will, dass mein Papa kommt!“ „Zum letzten Mal: Nein! Neben mir steht der Klaus, der hat sich um uns gekümmert, als sich dein Vater aus dem Staub gemacht hat. Und mit dem Klaus leben wir zusammen, nicht mit deinem Papa. Den will ich nicht sehen an diesem Tag. Ich hoffe, er hält sich daran und erscheint nicht einfach in der Kirche. Bei der Feier wird er auf keinen Fall dabei sein!“

Szene 4

Sprecherin: „Also Geschmack haben die in der Kirche doch gar keinen. Mit ihren scheckigen und kitschigen Kommunionkerzen. Die mit ihrem Gerede: Für die Kinder ist eine selbstgebastelte Kommunionkerze viel wertvoller als eine stilvolle. Was verstehen die in der Kirche schon von Stil. Kein Wunder, Leute aus unseren Schichten haben sowieso kein Interesse mehr am Stil der Kirche. Und wenn ich mir dazu noch ansehen muss, wie die meisten Familien heute an der Erstkommunion ihre Mädchen mit Spitzen und Reifröckchen aufplustern, das tut meinen Augen schon weh.“
„Wir hätten uns vielleicht doch eine andere Pfarrei für die Kommunion unseres Sohnes suchen sollen, mit mehr Niveau, Ästhetik und stilvollerer Musik als dieses Kinderchortrallala und Humbatätarä der Blasmusik zum Einzug. Und wenn ich mir schon vorstelle, wie unser lieber Bauernpfarrer wieder seine Predigt anfängt: Meine lieben Kinder. Heute ist ein ganz wichtiger Tag in eurem Leben ... Das erfordert schon viel Selbstdisziplin, ruhig zu bleiben. Ich bin bloß froh, dass unser Jens eine Sonderrolle im Gottesdienst liest. Das hat wenigstens noch Niveau!“


Festliches Orgelspiel kurz anspielen und unterlegen

Die unterschiedlichen Familien und das eine Brot

Und dann ziehen sie ein: Stefan, für dessen Familie die Kirche schon immer Heimat und Geborgenheit bedeutete, dem der Geruch und die Bilder seiner Kirche vertraut sind. Seine Eltern haben vor Rührung Tränen in den Augen.
Alex, der den bunten Zug in die Kirche ganz interessant findet und die vielen staunenden Augen genießt, die auf die Kinder schauen, und seine Mutter, die nicht so recht weiß, wie sie sich verhalten soll. Alles ist ihr so fremd. Schon seit Jahren hat sie keine Kirche mehr von innen gesehen.
Ann-Kathrin, die darauf hofft, dass sie irgendwo in der Menge das Gesicht ihres Papas erspäht, und ihre Mutter, die Angst hat, dass ihr Exmann den schwierigen Tag noch komplizierter macht.
Jens, der seinen Vater Kaugummi kauend und skeptisch dreinblickend im Zug mitmarschieren sieht und dem Ganzen cool entgegenblickt.
Und mit Jens, Ann-Kathrin, Stefan und Alex ziehen im feierlichen Zug noch dreißig andere Kinder, hinter denen je eine Familie steht und für die dieser Tag mit ganz unterschiedlichen Gefühlen verbunden ist, die mit unterschiedlicher Einstellung an die Feier der Erstkommunion herangehen.

In diesem Festgottesdienst begegnen sich die verschiedenen Milieus: Der 52-jährige mittelständische Handwerker, der durch Pflichterfüllung und Fleiß einen kleinen Familienbetrieb am Laufen hält und in der einzigen Urlaubswoche, die er sich gönnt, mit der Malerinnung nach Südtirol fährt. Daneben der 35-jährige Manager, der fünf Jahre in Amerika gearbeitet hat, drei Fremdsprachen spricht und im Flugzeug fast ebenso zu Hause ist wie in seinem Bungalow am Waldrand. Zwei Bänke dahinter die Metzgerverkäuferin, die ihre zwei Buben im Grundschulalter allein erzieht und froh ist, wenn sie finanziell einigermaßen über die Runden kommt. Unter den Gottesdienstbesuchern sind verliebte junge Pärchen und die 83-jährige alte Frau, die in Schwarz geht und erst vor kurzem ihren Mann zu Grab getragen hat. Unter der Kanzel sitzt der Lehrer der Kommunionklasse, die Krankenschwester, der Bankdirektor und der Physikprofessor, der heute bei seiner Verwandtschaft zum Erstkommuniontag eingeladen ist.

Und alle, ob Kind oder Greis, ob Mann oder Frau, ob aus einfachen Schichten oder gehobenen Milieus, ob gerade in einer glücklichen Phase des Lebens oder in Situationen, die schwer zu meistern sind, sie alle sitzen hier unter einem Dach zusammen. Menschen, deren Lebenswege sich sonst nie treffen würden, schauen sich hier in die Augen.
Am Höhepunkt des Gottesdienstes wird allen das gleiche Brot gezeigt und alle hören die gleichen Worte: „Nehmt und esst alle davon, das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“ ... Der Kelch wird erhoben und die Worte werden gesprochen: „Nehmt und trinkt alle daraus: Das ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes. Mein Blut, das für euch alle vergossen wird.“

Die Provokation der Eucharistiefeier

Die Familien von Jens, von Stefan, Ann-Kathrin und Alex vor Augen, ist Eucharistie feiern eine Provokation: Hier werden an einen Tisch geladen, die nie im Leben miteinander feiern und sich an einen Tisch setzen würden. Hier werden zusammengeführt, die sich sonst eher aus dem Weg gehen.

Die unterschiedlichen Familien der Kommunionkinder vor Augen, den Professor und die Metzgerverkäuferin und wer sonst noch alles da sitzt, sie alle vor Augen ist Eucharistie feiern eine Provokation: Hier werden alle gleich behandelt. Hier gibt es keine Bevorzugung, keine unterschiedliche Einstufung, wie in Arztpraxen oder am Bankschalter. Die gewohnt sind, dass sie hofiert werden, freundlicher empfangen und schneller vorgelassen, stellen sich in die gleiche Reihe und warten, bis ihnen hier das gleiche Brot auf die Hand gelegt wird wie den anderen, die es gewohnt sind, übersehen und stehen gelassen zu werden.
Die unterschiedlichen Gottesdienstbesucher vor Augen, ist Eucharistie feiern eine Provokation: Hier zählt nicht der vergleichende Blick nach rechts und links: Wer ist erfolgreicher? Wer ist einflussreicher? Wer hat eine größere Lobby? Wer verdient mehr? Hier zählt nicht: Aus welcher Familie stammst du? Welche Bildungschancen hast du? Bist du in der Gesellschaft anerkannt? Bei der Eucharistiefeier zählt ein anderer Blick. Nicht, wie schauen mich die Leute an? Sondern: Wie schaut mich Gott an?

Voller Stolz erzählen unsere alten Urkunden, dass Christen Ernst gemacht haben mit dem Ideal der Gleichheit vor Gott. Und dass sie die Konsequenzen daraus gezogen haben. Lukas schreibt in seiner Apostelgeschichte:

Sprecherin: Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele. Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam. Mit großer Kraft legten die Apostel Zeugnis ab von der Auferstehung Jesu, des Herrn, und reiche Gnade ruhte auf ihnen allen. Es gab auch keinen unter ihnen, der Not litt. Denn alle, die Grundstücke oder Häuser besaßen, verkauften ihren Besitz, brachten den Erlös und legten ihn den Aposteln zu Füßen. Jedem wurde davon so viel zugeteilt, wie er nötig hatte (Apg 4,32-35).

Vom Traum der ersten Christen wäre schon viel erfüllt, wenn die unterschiedlichen Gruppen, die im Gottesdienst nebeneinander stehen, wenigstens einander mit Respekt wahrnehmen und sich bewusst machen: Vor Gott haben alle die gleiche Würde.
Viele Theologen haben in vielen Jahrhunderten über das Wunder bei der Eucharistie philosophiert und spekuliert. Und bis heute tun wir uns schwer, es zu verstehen. Die ersten Christen haben das Wunder bei der Eucharistie auf einen Punkt gebracht: Vor Gott sind alle Menschen gleich. Lebt danach! Das ist leicht zu verstehen, aber schwer zu tun.

Gruppe Effata: Leuchtfeuer 8: „Das Lied vom Geben und Nehmen“

Gebet

Jesus, dein Freundeskreis, den du dir gesucht hast, war eine bunte Truppe. Da gab es den Draufgängertyp Petrus und den mehr in sich gekehrten Johannes. Da hören wir von den schnell aufbrausenden Donnersöhnen und von eher stillen Charakteren. Unter deinen Freunden ist der Fragetyp Philippus und der Skeptiker Thomas. Da findet sich Judas, der patriotische Zelot, und daneben Matthäus, ein ehemaliger Zöllner, der den Zeloten verhasst ist. Oft frage ich mich: Welche Integrationskraft musst du auf diese unterschiedlichen Typen ausgestrahlt haben, um sie zusammenzuhalten? Und wie hast du es nur geschafft, diese unterschiedlichen Charaktere an einen Tisch zu bringen und sie für eine Sache zu begeistern?
Jesus, die jungen Christen haben diese Spur weiterverfolgt. In ihren Gemeinden und Gottesdiensten war nicht nur für bestimmte Schichten Platz. Das war einmal die große Anziehungskraft ihrer Zusammenkünfte. Eucharistie feiern war keine Privatsache in einem engen Freundeskreis, in einem Club von Gleichgesinnten, wo man sich gegenseitig aussucht und wo zusammenkommt, was eh schon zusammenpasst. Das Revolutionäre an der Eucharistiefeier des jungen Christentums war doch, dass da der Aristokrat, der zum Christentum gefunden hatte, neben dem einfachen korinthischen Hafenarbeiter und römischen Sklaven saß. Zur Eucharistiefeier gehörte es, dass der Philosoph neben dem Analphabeten saß, die ehemalige Dirne neben dem Asketen. Und wir können es aus den Texten des Neuen Testaments bis heute herauslesen, wie sich immer wieder die Menschen dagegen sträubten, sich in ihren Klüngel verschließen wollten, und doch gerade dies der Sinn der Eucharistie blieb: die Menschen aller Schichten über Sympathie- und Nationalitätsgrenzen hinweg zu versammeln, gesellschaftliche Gräben zu überbrücken und in deinem Namen vor Gottes Angesicht in eine neue Einheit zu führen.

Jesus, in deinem Namen sind heute am Weißen Sonntag unterschiedlichste Kinder und Familien zusammenkommen: Stefan und seine Familie, für die Kirche Heimat bedeutet; Alex mit seinen Eltern, die wenig Bezug zum Gottesdienst haben ; Ann-Kathrin und ihre Mutter, für die der heutige Tag schwer durch die Familiensituation belastet ist; Jens und seine Eltern, für die die Gottesdienstgemeinde und das Dorfleben fremd ist. Lass sie etwas von der geheimnisvollen Kraft der Eucharistie und deinem zusammenführenden Geist spüren.
Schau auf alle, die mit ihnen den Gottesdienst am heutigen Weißen Sonntag feiern und in der Kommunion dein heiliges Gemeinschaft stiftendes Zeichen empfangen. Du schenkst dich allen in dem einen gleichen Brot. Lass die unterschiedlichsten Menschen in den unterschiedlichen Lebenslagen und Anliegen deine Kraft erfahren. Sei in dem einen Brot Kraftquelle für die Müden und Ausgebrannten, Ruhepol für die Gehetzten, Halt für die Unsicheren, Orientierung für die Suchenden, Tiefe für die Oberflächlichen, Antrieb für die Gleichgültigen, Trost für die Traurigen, Ermutigung zur Versöhnung für die Zerstrittenen. Lass in dem einen Brot alle, die es empfangen, deine Nähe spüren.

Lied der Gruppe Effata: Leitplanken 17: „Gebet für viele“

Segenswunsch
(nach Paul Weismantel, aus: Segensgebete, Gesegneter Sonntag)

Gesegnet die Menschen, die den heutigen Tag als einen Höhepunkt in ihrem Leben feiern.
Gesegnet die Menschen, die im sonntäglichen Gottesdienst persönlich und gemeinsam erfahren, wie sehr das Danken das Herz erhebt.
Gesegnet die Menschen, die zusammenkommen, um die Erinnerung an Jesus wach zu halten und die Hoffnung der Auferstehung in unseren Kirchen zu bezeugen.
Gesegnet die Menschen, die sich am Tisch des Herrn versammeln als der Mitte und Kraftquelle ihres Lebens, aus der sie schöpfen und sich stärken lassen.
Gesegnet die Menschen, die in vielen Sprachen, rund um unsere Erde, Jesu Botschaft hören und ihr Leben aus dem Evangelium gestalten.


Pfarrer Stefan Mai

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