Drei Lektionen über die Liebe

Predigt zum Ostersonntag (Joh 20,1.11–18)

Wir hören heute im Evangelium drei Lektionen über die Liebe. Sie werden uns beigebracht über die Figur der Maria von Magdala.

1. Liebe macht blind. Aber nicht im Sinn von: Wer verliebt ist, ist blind für die Schwächen und Fehler des anderen. Wer verliebt ist, der entschuldigt alles und sieht den anderen im verklärten Licht. Die Liebe, die Maria von Magdala blind gemacht hat, ist anders zu verstehen: Sie hat ein Bild von Jesus im Kopf. Diesen Jesus sucht sie. Und deshalb sieht sie ihn nicht, obwohl er neben ihr steht. Denn er ist ein anderer geworden. Für diesen Jesus, der sich verändert hat, ist sie blind.

2. Liebe macht sehend. Maria von Magdala gehen plötzlich die Augen auf. Als sie angesprochen wird von dem vermeintlichen Gärtner und merkt: Es ist die gleiche Stimme, die gleiche zärtliche Anrede, da macht Maria von Magdala eine innere Umkehr durch. Das Evangelium bringt es ins Bild: Obwohl sie schon die ganze Zeit mit Jesus spricht, heißt es: Da kehrte Maria um. Sie kehrt ihre Sicht von Jesus um. Sie kapiert: Echte Liebe verbietet, dass ich den Geliebten in ein Bild einsperre. Echte Liebe gibt dem anderen die Möglichkeit, dass er anders werden darf. Dass er anders denken und sich anders entwickeln darf als ich möchte.

3. Liebe heißt: nicht festhalten. Der Weg geht weiter. Je mehr Vertrauen ich zum anderen habe, desto eher kann ich ihn loslassen, ohne Angst, dass er mir entschwindet. Desto mehr lasse ich ihn frei für das Ziel, zu dem er sich im Innersten hingezogen fühlt. Und wer weiß, ob nicht sein Ziel auch für meinen Lebensweg eine Bereicherung sein kann.

Liebe Leser, die Lektion über die Liebe im heutigen Osterevangelium beginnt mit der Frage: Wen suchst du? Und am Ende heißt es: Ich habe den Herrn gesehen. Echte Liebe ist ein langer Prozess. Liebende suchen sich ein Leben lang, bis sie sagen können: Ich habe ihn gesehen, wie er wirklich ist.


Pfarrer Stefan Mai

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