Das wahre Gesicht Christi

Bußgottesdienst am 5. Fastensonntag 2006

Lied Gl 957/1+2: O Sonn des Heiles Jesu Christ

Einleitung

I

Ich möchte gern wissen, wie Jesus ausgeschaut hat, wie groß er war, welcher Typ er war. Ich möchte gern wissen: War sein Gesicht schmal oder mehr rund, hatte es weiche Züge oder war es mehr scharfkantig? Hatte er rabenschwarze Locken, hatte er einen Bart? War er mehr ernst oder gelöst und heiter, mehr selbstbewusst oder sanft, schlug seine Erscheinung einen sofort in den Bann oder war sein Aussehen mehr unscheinbar? Welche Augen hatte er, große fragende oder eher schelmisch verschmitzte? Ja, ich möchte gern wissen, wie Jesus ausgeschaut hat, ich würde gern sein wahres Gesicht kennen.

II

Das wahre Gesicht Jesu kennen. Dies war schon bald bei den jungen Christen ein großer Wunsch. Die Legende aus dem 5. Jahrhundert nach war es Berenike, die von Jesus in Cäsaräa Philippi eine Bronzestatue aufgestellt hat. Berenike soll die Frau gewesen sein, die 12 Jahre an Blutungen litt, sich an Jesus heranmachte, den Saum seines Gewandes berührte und dadurch geheilt wurde. Im Lauf der Geschichte wurde aus dem Namen Berenike „Veronika“, die Jesus das Schweißtuch auf dem Kreuzweg gereicht haben soll und dafür als Dank für ihre Mitleidsgeste das wahre Gesicht Jesu als bleibendes Geschenk im Leintuch zurückerhielt. Berenike und Veronika, zwei Legendenfiguren, die von der Sehnsucht der Menschen erzählen, das wahre Gesicht Jesu zu kennen.

Gl 957/ 3+4

III

Die Bibel beschreibt nie das Aussehen Jesu. Sie erzählt nicht, wie sein Gesicht aussah, aber sie beschreibt oft seinen Blick und seine Wirkung auf Menschen:

Es wird erzählt: Jesus hatte einen aufmerksamen Blick für Menschen und bemerkte schnell, was mit einem Menschen los ist:

Jesus ging in das Haus des Petrus und sah, dass dessen Schwiegermutter im Bett lag und Fieber hatte. Da berührte er ihre Hand und das Fieber wich von ihr (Mt 8,14f)

Er sieht auch die Missgunst derer, die einem armen Tropf nicht gönnen, dass er geheilt wird und Jesus auf ihre Regeln festlegen wollen:

Und er sah sie der Reihe nach an, voll Zorn und Trauer über ihr verstocktes Herz und sagte zu dem Mann: Streck deine Hand aus! Er streckte sie aus und seine Hand war wieder gesund. Da gingen die Pharisäer hinaus und fassten zusammen mit den Anhänger des Herodes den Beschluss, Jesus umzubringen. (Mk3,5f)

Und es stechen ihm die Eitelkeiten von Menschen und ihr Prestigegerangel in die Augen:

Als Jesus bemerkte, wie sich die Gäste die Ehrenplätze aussuchten, nahm er das zum Anlass, ihnen eine Lehre zu erteilen. Er sagte zu ihnen: Wenn du zu einer Hochzeit eingeladen bist, dann such dir nicht den Ehrenplatz aus! (Lk 14,7f)

Jesus weiß auch darum, wie weh es tut, wenn ein hoffnungsvoller Blick enttäuscht wird. Noch lange schaut er dem jungen Mann nach, der nicht auf seine Forderung eingeht:

Da sah ihn Jesus an, und weil er ihn liebte, sagte er: Eines fehlt dir noch: Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben. Dann komm und folge mir nach! Der Mann aber war betrübt und ging traurig weg. Denn er hatte ein großes Vermögen. (Mk 10,21f)

Sein Blick auf Menschen, die sich nur schwer selbst helfen können und orientierungslos sind, erweckt in ihm Mitleid:

Als Jesus ausstieg und die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben...(Mk 6,34)

Sein Blick trifft Menschen, geht ihnen nahe und bringt sie zum Nachdenken:

Dann wandte sich der Herr um und blickte Petrus an. Und Petrus erinnerte sich an das, was der Herr zu ihm gesagt hatte...Und er ging hinaus und weinte bitterlich. (Lk 22,61f)

Ich stelle mir vor, Jesus würde mir heute begegnen. Mit welchem Blick würde er mich anschauen

Orgelspiel

Betrachtung des Bildes „Gesicht Christi – Gesichter der Menschen“

Sie haben heute ein besonderes Bild vom Gesicht Christi Händen. Das Gesicht Christi setzt sich zusammen aus vielen menschlichen Gesichtern, aus Gesichtern von Männern und Frauen, Kindern und Jugendlichen, lachenden und staunenden, freudigen und ernsten, aus Gesichtern von bekannten Leuten und unbekannten Menschen. Halte ich das Bild weiter weg, sehe ich stärker die Konturen des Gesichtes Christi, schaue ich näher hin sehe ich ganz die Gesichter viele Menschen, die das Gesicht Jesu darstellen.
Die Gesichter der Menschen bilden das Gesicht Christi. Und das Gesicht Christi spiegelt sich in den Gesichtern der Menschen.



Paulus schreibt einmal in seinem Brief an die Korinther:

Wir alle spiegeln mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider und werden so in sein eigenes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit durch den Geist des Herrn. (2 Kor 3,18)

Besinnung

Wir Christen sind das Gesicht Christi in der Welt, behauptet Paulus.

Können Menschen an uns Christen etwas von Christus entdecken?
Von seiner Entschiedenheit
Von seinem unverschämten Vertrauen auf Gott
Von seiner Unabhängigkeit von Lob und Tadel
Von seinem Mut, an Überzeugungen festzuhalten, auch wenn sie mir keinen Vorteil bringen?

Was strahle ich von Jesus aus?

Ist in meinem Tun und Handeln etwas spürbar von seiner Konsequenz?
Er tat Gutes ohne Berechnung. Gibt es das bei mir?
Kann ich wie er verzeihen, ohne Vorbehalte?

Weist mein Denken wie das seine eine Weite für Fremde und Unangepasste aus?
Ist mein Denken wie das seine frei von jeder Karrieresucht?

Oder geht es Menschen, die mir als Christ begegnen ähnlich, wie jenem zuverlässigen Schwarzen, der bei einer christlichen Familie im Dienst stand? Als er plötzlich kündigte, fragte die Farmersfrau überrascht nach dem „Warum“. Und der Diener antwortete: „Ich war lange bei dir, weil ich wissen wollte, ob Gott bei euch Christen wohnt. Jetzt gehe ich zu einem, der Allah anbetet, um ihn dort zu suchen...“

Orgelmusik

Und umgekehrt:
Erkenne ich in Menschen etwas von Jesus?
Glaube ich daran: In Menschen schaut mich Jesus an: In meinem Mann, meiner Frau, in meinen Kindern, Arbeitskollegen, in Fremden auf der Straße oder im Bus. In Menschen, die ich nicht verstehe oder die nicht in meiner Welt leben?

Jesus will mir in Menschen begegnen:
In ihren Fragen
In ihren Bitten
In ihrem Gutsein
In ihrer Sehnsucht

Gibt es einen Menschen, in dessen Gesicht ich zur Zeit besonders das Gesicht Jesu erahnen kann?

Habe ich mir schon einmal die Frage gestellt:
Könnte ich vielleicht mit manchem Menschen besser umgehen, wenn mir bewusst wäre, auch in diesem Menschen schaut mich Jesus an?

Stille

Bitte um Vergebung

Trotz allem guten Willen. Trotz des Wissens, dass unser Glaube an Jesus nicht nur eine Gabe, sondern auch eine Aufgabe ist, dass er nicht nur da ist, um für uns eine Richtschnur, Halt und Trost zu sein, sondern auch durch unser Leben, durch unser Handeln auf andere anziehend wirken will, müssen wir uns eingestehen, dass wir in bestimmten Situationen nichts von dir ausgestrahlt haben und dein Gesicht nicht auf den Gesichtern der Menschen sehen konnten.
So bekennen wir vor dir und voreinander unsere Schuld:

Gemeinsames Schuldbekenntnis Gl 353/4

Nachlass, Vergebung und Verzeihung unserer Sünden gewähre uns der allmächtige und barmherzige Herr. Amen

Lied: Im Anschauen seines Bildes...

Gebet

Herr, unser Gott, du hast gewollt, dass sich das Bild deines Sohnes auspräge im Wesen der Getauften. Ermutige uns, auf sein Wort zu hören, auf seinen Lebensstil zu schauen, dem Evangelium zu folgen. Lass die Wesenszüge Jesu in unserem Wesen wachsen, darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn.

Lied: Im Anschauen seines Bildes...

Gemeinsames Gebet: Gl 6/6

Segen

Lied: 559/1+4


Pfarrer Stefan Mai

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