Typen, mit denen man Pferde stehlen kann

Predigt zum 7. Sonntag im Jahreskreis (Mk 2,1-12)

Predigt

In Zeubelried, einer früheren Pfarrgemeinde von mir, kam zum Patroziniumsfest immer der ehemalige Pastoraltheologe der Universität Würzburg, Heinz Fleckenstein, auf Besuch zu seinen Verwandten. Ich werde den Kaffee nicht vergessen, zu dem mich seine Verwandten eingeladen hatten. Mitten im Gespräch schaute mich der damals schon über 80-Jährige an und meinte: „ Wissen Sie, was unserer Kirche heute am meisten fehlt?“ Ich zuckte ein wenig mit den Schultern und sagte: „Ach, uns fehlt vieles!“ „Nein!“, konterte er, „uns fehlt nur eines: Leute, mit denen man für die Kirche Gäul´ stehlen kann. Menschen, die mit Leidenschaft bei der Sache sind, die Herzblut investieren und mit Ideen und Zähigkeit etwas nach vorne treiben wollen.“

Solche Typen, von denen der alte Fleckenstein träumte, meine ich heute im Evangelium zu begegnen. Die vier Männer, die den Gelähmten auf einem Tragtuch zu Jesus schleppen wollen, haben ein Ziel und ein Herzensanliegen. Sie sind zutiefst davon überzeugt, dass es alle Mühe lohnt, den Kranken in die Nähe Jesu zu bringen. Und sie lassen sich von ihrem Anliegen nicht gleich abbringen, wie sich Widerstände in den Weg stellen. Die Leute lassen sie einfach nicht durch zu dem Haus, in dem Jesus ist. Die Vier aber entwickeln eine kreative Idee, denken nicht nur in gewohnten Bahnen. Sie gehen völlig ungewohnte Wege, ja wagen es, sogar Grenzen zu überschreiten: Sie steigen dem Hausbesitzer buchstäblich aufs Dach und schlagen das Dach ein, um das Hindernis für ihr Vorhaben zu überwinden. Der Hausbesitzer war von dieser Idee sicherlich nicht begeistert. Aber die vier bringen mit ihrem Verhalten zum Ausdruck: Wenn mir eine Sache wirklich am Herzen liegt, dann werfe ich nicht gleich die Flinte ins Korn, dann kann ich auch nicht immer schön höflich fragen, ist es euch allen recht, dann kann ich nicht nur das tun, was bei allen Beifall findet. Dann muss ich auch mal Dinge und Aktionen wagen, die anecken.
Die vier haben ein Herzensanliegen. Sie setzen ihre Kräfte voll ein, streichen bei Hindernissen nicht gleich die Segel und jammern nicht wehleidig: „Ach, wir haben es doch so gut gemeint, aber die bösen Leut´!“. Nein, sie sagen sich: „Wenn es so herum nicht geht, dann geht es anders herum“, und nehmen allerhand Ärger auf sich, um ihr Ziel zu verwirklichen und dem Gelähmten zu helfen. Und das Evangelium erzählt. Voller Bewunderung schaut Jesus auf diese vier Typen. Es heißt: Als Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu dem Gelähmten ... Es heißt nicht: Als er seinen Glauben sah. Jesus springt der Glaube und die Tatkraft dieser vier Männer in die Augen und belohnt ihr Herzblut und ihren Einsatz. Nicht um groß rauszukommen haben sich die Vier so reingehängt, sondern um ihr Ziel zu erreichen, und das erkennt Jesus an.

Mir scheint, zur Zeit ist unsere Kirche wie ein gelähmter Patient: nichts zu machen, bringt ja doch nichts, schon so viel probiert, man braucht uns nicht mehr, man spielt uns übel mit, solche Jammertöne weit und breit.
Es stimmt schon, was wir singen: „Die Kirche ist erbauet auf Jesus Christ allein“ und ich glaub auch fest daran, dass er die Kirche nicht untergehen lässt, aber ebenso glaub ich, dass er sich wie damals über die vier auch heute über jeden in der Reihe der Kirche freut, der hinlangt, Ideen hat, Herzblut investiert, um so Menschen den Zugang zu Jesus zu ermöglichen. Auf gut fränkisch in der Sprache des alten Professor Fleckenstein über „Leut’, mit denen man Gäul’ stehlen kann.“

Fürbitten

Herr Jesus Christus, du siehst den Glauben und den Einsatz der vier Männer, die den Gelähmten zu dir schleppen. Wir bitten dich:

Für alle Menschen, die sich im gesellschaftlichen, sozialen und kirchlichen Bereich zum Wohle anderer einsetzen

Für alle ehrenamtlich Tätigen, die ihre Kreativität und ihr Charisma einsetzen und frustriert sind, weil vieles nicht so geht, wie sie es sich wünschen

Für alle Frauen und Männer, die sich am 12.März in unserer Gemeinde als Kandidaten und Kandidatinnen für die Pfarrgemeinderatswahl zur Verfügung stellen

Für unsere Kirche, die Köpfe und Kräfte braucht, die mit Glaubwürdigkeit, Ideen, Einsatz und Bescheidenheit auf Menschen von heute anziehend wirken

Für alle, die wie gelähmt sind und Menschen brauchen, die sie in der Krise stützen und mittragen

Darum bitten wir dich, Christus, unsern Herrn.


Pfarrer Stefan Mai

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