In der Stunde des Erfolgs

Predigt zum 5. Sonntag im Jahreskreis (Mk 1,29-39)

Wer von uns möchte schon gerne ins Leere arbeiten? Wer möchte Kräfte, Ideen, Zeit und Geld investieren, wenn nichts dabei herauskommt? Wer sehnt sich nicht nach Erfolg in seinem Tun? Und wer möchte nicht im Leben Erfolge genießen und feiern?
Wir wissen doch, Erfolg kann motivieren, beflügeln, neue Kräfte in mir mobilisieren. Es ist einfach schön, zu sehen: Es geht was voran, die Sache kommt an. Erfolg ist ein Stück Lebenselexier, ein wichtiger Lebensmotor. Da geht vieles leichter von der Hand.

Auf diesem Erfahrungshintergrund befremdet die Szene des heutigen Evangeliums. Da stellt sich zum ersten Mal Erfolg im Wirken Jesu ein. Die Zuhörer sind gebannt von seinen Worten. „Was ist das für eine Lehre in Vollmacht?“ fragen sie erstaunt. Alle Kranken werden zu ihm hingeschleppt. Heilende Kräfte gehen von ihm aus und ziehen die Massen an wie ein Magnet. Alles staunt, alle bewundern den Mann aus Nazareth. Jetzt wäre sie da, die Gunst der Stunde, sich im Wohlgefühl der Menge zu baden, um Massen an sich zu binden, um die eigenen Ziele publik zu machen. Die Jünger haben das kapiert und wollen auf der Erfolgswelle mitschwimmen. Sie sehen die Gunst der Stunde und wollen Jesus wieder zurückholen, der sich vom Trubel in die Einsamkeit zurückgezogen hat: Mensch, kapier’ doch, alle suchen dich. Alle wollen dich. Du bist jetzt ein gefragter Mann. Nutze die Sympathiewelle! Doch Jesus kontert: „Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer.“

Warum nur dieses sonderbare Verhalten? Warum verzichtet Jesus auf den verdienten Beifall?
Vielleicht, weil er die Fallen des Erfolgs kennt? Vielleicht, weil er weiß, wie oberflächlich der Applaus ist, wie wankelmütig der Geschmack und die Laune des Publikums. Heute hieven sie dich hoch, morgen lassen sie dich plumpsen, wenn du ihre Wünsche nicht bedienst. Vielleicht, weil Erfolg zu sehr nach der Wirkung auf andere fragt und einen ganz schleichend von seinen eigentlichen Zielen abkommen lässt? Oder weil Jesus deutlich machen möchte: Mein Platz ist nicht auf Seiten der Gewinner, mein Platz ist auf der Seite der Verlierer. Oder möchte er durch den Rückzug in die Einsamkeit des Gebets deutlich machen: Im Gespräch mit Gott wird dir klar: Da kannst du dir selbst nichts vormachen, welch großartiger Kerl du bist. Du bist nicht der, wozu die Leute dich machen oder wofür sie dich halten. Im Angesicht Gottes kannst du nicht bluffen. Vor Gott stehst du nackt da. Du bist der, der du vor Gott bist!

Hilde Domin, eine Dichterin unsrer Zeit kennt die Fallen des Erfolgs und deshalb spricht sie in einem Gedicht für ihre Zeitgenossen eine „Warnung“ aus:
„Wenn die kleinen weißen Straßen im Süden, die du gegangen bist, sich dir öffnen wie Knospen voller Sonne und dich einladen,
Wenn die Welt, frisch gehäutet, dich aus dem Haus ruft und dir ein Einhorn gesattelt zur Tür schickt,
dann sollst du hinknien wie ein Kind am Fuß deines Betts und um Bescheidenheit bitten.
Wenn alles dich einlädt, das ist die Stunde, wo dich alles verlässt.“

Liebe Leser, „Wenn alles dich einlädt, das ist die Stunde, wo dich alles verlässt.“ Solche tiefen Sätze sollte man sich im Hinterkopf behalten.


Pfarrer Stefan Mai

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