„… giebt einem viel gedancken“

Predigt am Neujahrstag 2006

Wenn ich konzentriert arbeiten möchte, dann brauche ich Ruhe um mich herum. Da stört mich jedes Geräusch. Das Telefon kann zum Terror werden. Ein gut gemeintes Pläuschchen an der Haustür kann die Geduld schwer strapazieren.
Wenn wichtige Dinge vor mir liegen, dann habe ich einen Zeitplan im Kopf. Und wehe, es kommen Dinge dazwischen. Dann werde ich unruhig.
Da imponiert mir Mozart. Er war mit seinem Vater auf Konzertreise in Mailand. Er wollte dort viel studieren und komponieren – und sah Mailand als wichtiges Sprungbrett in seine musikalische Zukunft. Er logierte in einem Mietshaus – und schildert die Wohnsituation in einem Brief aus dem Jahr 1771 so:
oben unser ist ein violinist, unter unser auch einer, neben unser ein singmeister der lection gibt, in dem letzten zimmer gegen unser ist ein hautboist …
Gut deutsch: aus jeder Ecke des Hauses kommt anderer Lärm. Es bläst und quietscht und singt – in allen Tonarten und Güteklassen. Hier wird zehnmal die gleiche Arie falsch gesungen. Dort eine schwierige Phrase aus einem Violinkonzert gekratzt. Gegenüber scheitert ein Oboist an hohen Tönen. Für einen, der konzentriert arbeiten will, das wahre Gräuel.
Aber nicht für Mozart. Er schreibt abschließend in seinem Brief an Schwester Nannerl:
… daß ist lustig zum Componiern! giebt einem viel gedancken.
Es kommt einfach auf die Einstellung an. Jeder andere würde verrückt. Mozart empfindet die Lärmbelästigung aus allen Ecken als Anregung. Was ihm vorgesungen und vorgespielt wird, greift er auf und entwickelt spielerisch daraus eigene Kompositionen.

Was für die meisten ein unangenehmer Störfaktor ist – Mozart lächelt darüber und sagt sich: Nur weiter. Ich mach schon was draus. Meisterhafte Divertimenti und erste Opern sind in dieser Zeit entstanden. Störfaktoren werden zu Animatoren.
Lieber Leser, ein neues Jahr liegt vor uns. Jeder von uns hat seine Hoffnungen, seine Wünsche, sein Pläne. Eines sollte uns klar sein: Es wird nicht alles glatt gehen. Vieles, was wir uns so schön ausmalen, wird anders verlaufen als wir denken. Es wird Querschläger geben. Störfaktoren werden sich einstellen.
Wir haben zwei Möglichkeiten: Wir können uns ärgern, uns aus der Ruhe bringen lassen, wir können jammern und uns beklagen – oder wir können von Mozart lernen: Wer weiß, vielleicht steckt in den Störfaktoren Stoff für neue Anregungen, ein Impuls für neue Herausforderungen. Vielleicht wachse ich durch das, was sich mir in den Weg stellt.
Das ist mein Wunsch für uns alle im Mozartjahr 2006: Die Dinge sind nie so, wie sie sind. Sie sind immer das, was man aus ihnen macht (J. Anouilh).

Bläserquintett/Divertimento


Pfarrer Stefan Mai

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