Gott im Fleisch

Predigt zum Weihnachtsfeiertag 2005

(Messe in c-Moll, KV 427: et incarnatus est)

Manchmal weiß man noch, aus welchem Anlass Mozart ein bestimmtes Werk komponiert hat. So auch bei seiner letzten Messe, der großen c-Moll-Messe. Sie ist unvollendet geblieben. Aber zu den Teilen, die er minutiös ausgearbeitet hat, gehört das et incarnatus est im Credo, die Worte, mit denen die Menschwerdung Christi umschrieben werden: „und er ist Fleisch geworden“. Der Anlass für diese Komposition ist die Genesung seiner Frau Constanze. Und Constanze, die Mutter seiner sechs Kinder, von denen nur zwei überlebt haben, soll die erste gewesen sein, die dieses et incarnatus est gesungen hat. Für sie hat es Mozart komponiert.

einspielen: et incarnatus est

Constanze war Mozarts große Liebe. Er hat sie geheiratet gegen den Willen seines Vaters. Mit allen Tricks hat Leopold Mozart zwar versucht, die beiden auseinander zu bringen. Aber es hat alles nichts genutzt. Wolfgang Amadeus und Constanze konnte nichts entzweien. Wie viele Briefe schrieb er an sie, wenn er unterwegs war. Da wimmelt es von Kosenamen und Busserln. Er hat Constanze immer bei sich. In Gedanken – und in einem Bild. In seinem Brief vom 16. April 1789 aus Dresden schreibt er:
Keinen Brief habe ich dir noch geschrieben, wo ich nicht dein liebes Portrait vor meiner gestellt hätte.
Und er beschließt diesen Brief:
Nun lebe wohl, liebste, beßte, - denke daß ich alle Nacht ehe ich ins Bett gehe eine gute halbe Stunde mit deinem Portrait spreche, und so auch beym erwachen.

In der Liebe zu seiner Frau spürt Mozart etwas von dem Gott, der in der Welt greifbar ist, der Fleisch geworden ist: in der Schönheit des Gegenübers, in der Stimme, die einem gut tut und verzaubert, in der Wärme und Geborgenheit, die ich in der Begegnung mit einem anderen erfahren darf. Et incarnatus est ist für Mozart ganz konkret: Für ihn ist Gott in seiner Frau Fleisch geworden.
Und in der Dankbarkeit über dieses Geschenk Gottes schwingt sich der Gesang im et incarnatus est wie eine Lärche zum Himmel. Die Liebe eines Menschen lässt leicht und frei werden.
Ich bin überzeugt: Gerade an Weihnachten sind Menschen besonders dankbar, wenn sie so etwas wie Mozart erfahren dürfen: Es gibt Menschen, in denen ich die Güte Gottes leibhaft spüren darf.

et incarnatus est


Pfarrer Stefan Mai

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