Mozart rettet Weihnachten

Weihnachtsmette 2005

(Ave verum corpus KV 618 – Die Zauberflöte KV 620, Akt 1, Ausschnitt aus dem Finale: „Komm, du schönes Glockenspiel“)

Mettenteil

Weihnachten mit Mozart. In den kommenden Weihnachtstagen lassen wir unsere Festgottesdienste von der Musik des Mannes begleiten, dessen 250. Geburtstag wir im nächsten Jahr feiern: Wolfgang Amadeus Mozart, geboren 1756, gestorben 1791. Rechtzeitig zu diesem Jubiläumsjahr hat der französische Erfolgsautor Eric-Emmanuel Schmitt ein Buch veröffentlicht, das den Titel trägt: „Mein Leben mit Mozart“. Er hält in diesem Buch Momente seines Lebens fest, in denen er der Musik von Mozart begegnet ist. Mozart hat sein Leben im Jugendalter entscheidend verändert und hat ihm an wichtigen Lebensstationen Impulse gegeben. Dafür, schreibt er ihm Dankesbriefe.
Und da lese ich auch folgende Erinnerung, die am späten Nachmittag eines Heiligen Abend spielt:
Lieber Mozart, es war gestern. Als sich die Stadt dem Joch von Wind und Schnee beugte, hast du mich an einer Straßenecke überrascht … Die Sorge, es könnte den Menschen in den kommenden Weihnachtsfeiertagen an Geschenken und Essen fehlen, hatte sie zu Hunderten auf die Trottoirs getrieben, beladen mit Tüten und Paketen, die mich bunt, bauschig und raschelnd umgaben … Im Kaufrausch, ein paar Dinge fehlten noch, rannte ich mit eisigen Füßen und feuchten Stiefeln von einem Laden zum anderen, geriet vor jeder Kasse in Panik, das Geld könne mir ausgehen, war stolz, noch genügend zu haben, ging an die zwanzig Mal die Geschenkliste durch, mich vergewissernd, dass auch jeder sein Geschenk bekam, denn ich wollte Enttäuschungen vermeiden und hoffte auf Wohlgefallen. Gäbe es so etwas wie ein Diplom für den ausgabefreudigsten Käufer in letzter Minute, ich hätte gute Chancen gehabt.
Kaum hatte ich das letzte noch fehlende Geschenk in meinen Tragetaschen verstaut, wollte ich nur noch eines: so schnell wie möglich ein Taxi, und trabte auf eine Haltestelle zu.
Da bist du eingeschritten. Musik. Ich wandte mich um. Ein Chor sang (37f.).

Ave verum einspielen

Diese Musik schlägt bei Eric-Emmanuel Schmitt ein wie ein Blitz. Der Kaufrausch ist vorbei. Die Musik im Ohr, fragt er sich: Warum feierst du eigentlich Weihnachten? Warum gibst du so viel Geld an einem einzigen Tag aus? Machst du mit Geschenken wett, was du unterm Jahr unterlassen hast? Die Telefonate, die du nicht geführt hast. Die Stunden, die du andern nicht gewidmet hast. Ist vielleicht deine Spendierfreudigkeit pure Berechnung?
Die Musik Mozarts lässt eine Sehnsucht in ihm wach werden, die vom Kaufrausch völlig verdeckt worden ist: den Traum von einer Gegenwelt zu dieser Welt der Kälte und der gegenseitigen Interesselosigkeit. Mozarts wunderbare Harmonien waren für ihn Ausdruck der Achtung des Menschen für den Menschen, der Sensibilität für die Verletzlichkeit des andern.
Und als die letzten Töne verklungen waren, wogen die Tüten und Pakete in seinen Händen nicht weniger schwer als zuvor. Aber sie waren mit etwas anderem gefüllt. Er hatte das gute Gefühl: Die Welt, wie sie Mozarts Harmonien besingen, beginnt dort, wo andere sich mit mir in Harmonie verbinden, dasselbe Ziel verfolgen und meine Empfindungen teilen. Damals noch nicht Christ, konnte Schmitt nur ahnen, dass die wunderbare Komposition von Mozart die Geburt eines Menschen besingt, dessen Leben aus nichts anderem bestand, als diesen Traum einer anderen Welt mit anderen zu teilen: „Gegrüßet seist du, wahrer Leib, geboren von der Jungfrau Maria …“

Ave verum

Kyrierufe

Ave verum corpus natum: Gegrüßet seist du, Jesus, in unserem menschlichen Leib Fleisch geworden
Kyrie eleison

Ave verum corpus natum: Gegrüßet seist du, Jesus, eingetaucht in unsere menschliche Verletzlichkeit.
Christe eleison

Ave verum corpus natum: Gegrüßet seist du, Jesus, du hast den Traum einer menschlichen Welt gelebt.
Kyrie eleison

Predigt

Mozart war ein Wunderkind. Schon als Dreijähriger probiert er, auf dem Cembalo zu spielen. Kurz vor seinem 5. Geburtstag notiert der stolze Vater Leopold in seinem Tagebuch, „Diesen Menuett und Trio hat der Wolfgangerl … um halbe zehne nachts in einer halben Stunde gelernt.“ Kurz nachdem er 5 Jahre alt geworden war, macht Mozart den Sprung vom Musiker zum Komponisten und schreibt seine ersten Stücke. Noch bevor er 7 Jahre alt wird, bringt er sich selbst das Geigenspielen bei und beherrscht es bald so gut, dass er als Solist auftreten kann. Im gleichen Jahr notiert der Vater: „Das Neueste ist, dass, um uns zu unterhalten, wir auf die Orgl gegangen und ich dem Wolferl das Pedal erkläret habe. Davon er denn gleich stante pede die Probe abgeleget, den Schammel hinweggerückt und stehend präambuliert und das Pedal dazu getreten und zwar so, als wenn er schon viele Monate geübt hätte. Alles gerüet in Erstaunen“ . Cembalo-, Geigenspieler und jetzt Organist. Alles im Alter von 7 Jahren.
Mozarts Vater ist nicht nur stolz, sondern er weiß auch, aus seinem Wunderkind Kapital zu schlagen. Er reist mit Wolfgang und der etwas älteren Tochter Nannerl durch die Residenzstädte und Musikzentren Europas.
Der kleine Mozart wird vorgeführt wie ein erwachsener Star. Aber er ist ein Kind. Der Kaiserin Maria Theresia springt er einfach auf den Schoß, legt seinen Arm um ihren Hals und gibt ihr ein Busserl – in der Erwartung, dass sie ihm eins zurückgibt. Immer wieder erkundigt sich der kleine Mozart bei den Leuten, ob sie ihn lieb haben. „Und wenn sie es zum Spaß verneinten, verlor er die Fassung und brach in Tränen aus“. Mozart durfte eigentlich nie richtig Kind sein.

Mozart war ein Wunderkind. Das wahre Wunder aber ist für mich nicht das Wunderkind Mozart, sondern der meisterhafte Mozart, der am Ende seines Lebens in seinen berühmtesten Werken zur kindlichen Einfachheit zurückfindet und den Traum von Angenommensein und vom unverfälschtem Leben in Töne setzt. Die bekannteste Oper Mozarts ist in seinem Todesjahr entstanden: die Zauberflöte. Ihr Stoff ist ein Liebesmärchen. Und die abgeklärteste Musik, die Mozart je schreibt, besticht in ihrer geradezu kindlichen Einfachheit.
Was Menschen bis heute an der Musik und der Handlung der Zauberflöte fasziniert ist: Menschen, die von Liebe träumen, finden zueinander. Menschen, die es ehrlich meinen, setzen sich gegen alle Ränkespiele durch. Menschen, die vorurteilslos auf andere zugehen, sind gegen Anfeindungen böser Gegenspieler geschützt.
Mozart war längst Freimaurer, als er die Zauberflöte komponiert hat. Seit 10 Jahren hat er keine Messe mehr geschrieben. Und doch hat er mit seiner letzten Oper in die Herzen der Menschen hineingesungen, was die eigentliche Botschaft des Kindes in der Krippe ist: Lass dir deine Kindheit nicht austreiben. Lass dich vom Taktieren und Paktieren der angeblich Großen nicht anstecken. Glaub an die Kraft des Guten. Glaube an einen Sinn in allem Unsinn. Glaub daran, dass kindliche Unverdorbenheit andere entwaffnen kann.
In Mozarts Zauberflöte sind es die Kindertöne des Glockenspiels, die die Monster tanzen lassen und das Reich des Guten und des Friedens aufschließen.

„Komm, du schönes Glockenspiel“


Pfarrer Stefan Mai

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